Die 3 Bergjungfern

Vor vielen Jahren hatte am Sieghartsberg ein Graf eine große Burg, eine Raubritterburg. Von hier aus machte er mit seinen rauhen Kriegsgesellen Jagd auf reiche Leute, die er fing und sie in die tiefen Kerker der Burg warf, um von ihnen Lösegeld zu verlangen.
Am Buchberg lebte ein anderer Adeliger, der sehr reich war und drei wunderschöne Töchter hatte.
Der böse Graf vom Sieghartsberg versuchte nun schon seit langer Zeit, der drei Mädchen habhaft zu werden, um damit von ihrem Vater ein hohes Lösegeld erpressen zu können. Die drei Mädchen, die das wußten, wagten sich kaum mehr aus dem elterlichen Haus.
Da erzählte man ihnen eines Tages, daß oben am Predigtstuhl ein alter Einsiedler zu Hause sei, der für alle Leute, die in ihrer Not zu ihm kamen, Rat und Hilfe wüßte. So machten sich auch die Mädchen auf, um von dem alten Einsiedler Hilfe zu erbitten.
Lange Zeit brauchten sie, um durch die dichten Urwälder bis zur Hütte des alten Mannes zu kommen. Endlich waren sie dort und setzten sich erschöpft am Eingang nieder. Nach einiger Zeit kam der Alte aus seinem Häuschen und fragte sie: „Was führte euch zu mir?“ Die Älteste der Drei antwortete: „Lieber, guter Mann! Wir haben eine große Bitte. Ständig ist der Raubritter vom Sieghartsberg hinter uns her. Er möchte uns fangen und einsperren, damit er dann von unserem Vater viel Geld für unsere Freilassung erpressen kann. Wir bitten dich, hilf uns, damit er uns in Ruhe läßt.“
Der Alte dachte lange Zeit nach, strich seinen mächtigen weißen Bart und sagte dann: „Über diesen schlimmen Menschen habe ich schon viele Klagen gehört. Es ist an der Zeit, daß seinem Tun ein Ende gesetzt wird. Kommt mit!“
Er führte die drei Mädchen zu einer kleinen Wiese unterhalb des Gipfelfelsens, wo er lange Zeit herumsuchte und schließlich drei kleine Blumen pflückte. „Merkt gut auf“, sagte er dann, „wenn ihr euch mit dem Saft dieser Blumen die Arme bestreicht, könnt ihr fliegen, aber nur von einem Berg bis zum anderen, weiter nicht. So könnt ihr stets leicht dem bösen Ritter entgehen.“
Die Mädchen bedankten sich herzlich bei dem Alten und probierten es gleich aus. Kaum hatten sie ihre Arme mit dem Saft der Blumen bestrichen, da fühlten sie sich leicht und unbeschwert. Sie breiteten die Arme aus und siehe da, wie Vögel flogen sie zuerst zum Wieningsberg und dann zurück zum heimatlichen Buchberg.
Nun begann für sie eine lustige Zeit. Kaum sahen sie den Ritter mit seinen Kriegern irgendwo auftauchen, da flogen sie zum nächsten Berghang hinüber.
Der Ritter, der vor Zorn darüber am ganzen Körper bebte, hetzte seine Leute hinterher, um sie doch noch zu fangen. So ging es die Sieghartser Berge hin und zurück. Voran die drei lachenden Mädchen, hintendrein der wütende Ritter und die vor Anstrengung keuchenden Soldaten.
Schließlich flogen die drei auf eine steile, hohe Feiswand, die sich in der Nähe des Sieghartsberges mitten im Wald befindet. Sie setzen sich oben hin und riefen dem Ritter und seinen Leuten, die unten standen, allerlei kränkende Bemerkungen zu. Dadurch wurde der Ritter so böse, daß er beschloß, die Felswand zu ersteigen.
Langsam und beschwerlich war der Aufstieg, doch immer näher kam er dem Gipfel. Schon machten sich die drei bereit weiterzufliegen, da sagte die Älteste: „Warum sollen wir uns eigentlich immer von diesem Bösewicht forttreiben lassen. Jetzt ist der geeignete Augenblick, um ihn endgültig unschädlich zu machen.“
Daraufhin rollten sie mitsammen einen großen Felsstein zum Rande der Steinwand und ließen ihn auf den Emporsteigenden hinabstürzen. Der Ritter wurde davon getroffen, stürzte ab und blieb tot am Fuß des Felsens liegen. Er wurde auch dort begraben. Doch soll er in seinem Grab keine Ruhe finden. Zu gewissen Zeiten jagt er auf seinem schwarzen Roß durch die Bergwälder. Sucht er den Eingang in sein längst versunkenes Schloß? Sucht er immer noch die drei Bergfräulein? Wer weiß es? Die drei Bergjungfern sind seit damals ebenfalls verschwunden und man hat nie mehr von ihnen gehört.

Quelle: Waldviertler Heimatbuch, Helmut Sauer, Verlag Josef Leutgeb, Zwettl, 2. Auflage 1977, Band I
ISBN ohne Nummer

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