Das Rätsel um den Eulenberg

Alte Leute erzählen, daß der Eulenberg innen hohl sein müsse. Noch vor einigen Jahrzehnten waren oben Löcher zu sehen, die unergründlich tief in den Berg hineinführten. Wenn man einen Stein hineinwarf, hörte man ihn nicht mehr auffallen, so tief war die Höhlung. Einmal nagelte man mehrere Stangen aneinander und versuchte den Boden der Löcher damit zu erreichen, auch das gelang nicht.
Sollten diese Löcher sogenannte „Schlote“ gewesen sein? Kanäle, die die Erdrinde durchziehen? So wäre der Eulenberg einst ein Vulkan gewesen, aus dem vor ewigen Zeiten Rauch und feurigflüssiges Gestein aus dem Erdinnern drang. Aus dem Jahre 1349 ist aus der Gegend um Litschau ein schweres Erdbeben bekannt. Das würde mit einem eventuellen vulkanischen Vorleben des Eulenberges zusammenpassen. Wie dem auch sei, um den Berg ranken sich viele Sagen, von denen ich eine erzählen möchte.
Vor undenklich langer Zeit soll auf dem Eulenberg eine Stadt gestanden sein. Die Einwohner dieser Stadt, denen es sehr gut ging und die großen Reichtum besaßen, waren übermütig und stolz. Sie aßen nur mehr aus goldenem oder silbernem Geschirr, tranken nur die besten und teuersten Weine und kleideten sich aufs Prunkvollste. Kam jedoch ein Armer oder ein Bettler in die Stadt und bat um eine kleine Gabe, so lachten sie ihn aus und jagten ihn aus den Toren.
Auf die Sonntagsmesse vergaßen sie überhaupt. Wenn es Zeit war, zur Kirche zu gehen, da saßen sie meist in den Gasthäusern, aßen und tranken und vergaßen ganz auf Gott.
Da wurde der liebe Gott zornig und beschloß, die Stadt zu strafen. Ein mächtiges Erdbeben erschütterte daraufhin die ganze Gegend, die Berge wankten und die Erde tat sich auf. Riesige Sprünge entstanden im Erdboden und die ganze Stadt versank mit Mann und Maus im Berg. Die Erde schloß sich darüber. Die Stadt mit ihren Bewohnern aber liegt seit dieser Zeit tief unten und träumt davon, daß jemand kommen würde, der sie erlösen könnte.
Ein einziger Weg führt hinunter zur schlafenden Stadt. Er ist oben durch eine Eisentür verschlossen. Manche Leute sind auch schon zufällig beim Schwammerlsuchen oder beim Holzmachen auf die eiserne Tür gestoßen. Wenn sie aber dann nach Hause gingen, um sich Brechwerkzeuge zu holen, um die Tür damit aufbrechen zu können, da fanden sie diese nicht mehr.
Am Altjahrstag um Mitternacht, manche erzählen auch an einem heiligen Ostertag, soll die Tür offen sein.
Einmal kam an einem dieser Tage eine Frau mit ihrer kleinen Tochter an der Tür vorbei. Mit großem Erstaunen bemerkte sie die eiserne Tür, die sich gerade mit lautem Knarren öffnete. Sie trat näher und blickte hinein. Sie sah in eine riesige Höhle, die mit Gold, Silber und Edelsteinen gefüllt schien. Obwohl sie große Angst hatte, zogen sie die Schätze doch so an, daß sie das Kind bei der Hand packte und mit ihm in die Höhle trat. Als sie bei den Reichtümern angelangt waren, da bückte sich die Frau und raffte alles, was sie in der Eile erwischen konnte, zusammen und füllte es in ihre Schürze. Eben wollte sie sich noch einmal bücken, da hörte sie wieder das Knarren der Tür, die sich schließen wollte. Schnell sprang sie zum Ausgang und hinaus. Gleich darauf schloß sich die Tür.
Da bemerkte die Frau zu ihrem Entsetzen, daß sie auf das Kind vergessen hatte. Laut schreiend lief sie in den nahegelegenen Ort, wo sie alle um schnelle Hilfe anflehte. Die Männer packten eiserne Stangen, um damit die Tür aufbrechen zu können und eilten auf den Berg. Niemand fand jedoch mehr die Tür.
Die Frau, die trostlos über ihren Leichtsinn war, hatte nun als einzige Hoffnung den Gedanken, daß sich im kommenden Jahr zur gleichen Zeit die Tür wieder öffnen und das Kind freigeben würde.
Als sich daher endlich der Tag jährte, da war sie schon zeitig am Morgen zur Stelle. Tatsächlich erblickte sie wieder das eiserne Tor, welches sich abermals mit lautem Knarren öffnete. Schnell lief sie durch die Öffnung in den Berg. Sie beachtete all die Schätze nicht, die hier herumlagen, ihr erster Blick galt ihrer kleinen Tochter, welche ihr an der Hand einer schönen, weißgekleideten Frau entgegenkam. Fröhlich lachend umarmte das kleine Mädchen seine Mutter und erzählte ihr, daß es jeden Tag von der weißgekleideten Frau einen Apfel als Speise erhalten hätte, auch viele lustige Spiele hätten sie mitsammen gespielt. Als sich die Mutter bei der Frau bedanken wollte, da sah sie, daß diese verschwunden war.
Beide verließen nun schnell die Höhle und kehrten wohlbehalten ins Dorf zurück.
Aus Dankbarkeit über die Errettung ihres Kindes ließ die Mutter mit dem Geld, das sie für die mitgenommenen Goldstücke bekommen hatte, auf dem Eulenberg eine Kirche erbauen, die jedoch später wieder in den Berg versank. Alte Leute wollen noch die Spitze des Kirchturmes, vielleicht war es auch das Kirchturmkreuz, aus dem Berg herausragen gesehen haben.
Viele andere Sagen ranken sich noch um den Berg. Von einem gewaltigen Ritterschloß, von der Hochzeit des Zwergenkönigs, der mit seinen Zwergen im Berg hausen soll und vom Rittergeschlecht der Eulenburger, von denen nur sieben leben durften, wurde ein achter geboren, so mußte einer der anderen sterben. Und so raunt und wispert es weiter um den Eulenberg, der geheimnisvoll und sagenhaft im äußersten Norden unserer Heimat liegt.

Quelle: Waldviertler Heimatbuch, Helmut Sauer, Verlag Josef Leutgeb, Zwettl, 2. Auflage 1977, Band I
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