DREI WÜNSCHE

Vor vielen Jahren lebte einmal ein Bauer. Ein Drittel des Tages arbeitete er, die andere Zeit aber verbrachte er mit Jammern: „Was werde ich anfangen, ich armer Mensch? Jetzt habe ich den letzten Rest von Getreide gesät. Was werde ich mit Weib und Kindern im Winter essen? Sollen wir unsere zwei Ochsen verzehren? Aber wie könnte ich dann ackern?
Einmal, wie er gerade wieder so seine Not überdachte, kam ein Rabe geflogen. „Krah, krah“, krächzte er.
„Was bist du für ein Gast?“ fragte der Bauer.
„Wohl bin ich ein Gast. Gleich gib mir etwas zu essen, sonst fresse ich dich selber auf.“
„Friß mich oder friß mich nicht, das ist mir gleich. Was soll ich dir geben, wenn ich selbst nichts habe?“
„Du hast zwei Ochsen.“
„Willst du vielleicht einen Ochsen verzehren?“ lachte der Bauer. „An einer Maus hättest du gerade genug.“
„Laß das meine Sorge sein. Gibst du mir einen Ochsen?“
„Gerne, aber du mußt ihn ganz allein hier vor mir auffressen und auch nicht ein Haar übrig lassen.“
Der Rabe ließ sich das nicht zweimal sagen. Er machte sich über den Ochsen her und in kurzer Zeit hatte er ihn verschluckt bis aufs letzte Haar. Man hätte nicht geglaubt, daß so viel in ihm Platz finden konnte.
Der Bauer jammerte: „Wenn du mir schon eine Ochsen gefressen hast, so friß auch den zweiten.“
Kaum ausgesprochen, machte sich der Rabe über den anderen Ochsen her und fraß ihn auf bis auf die letzte Klaue.
„Jetzt bin ich ganz unglücklich“, weinte der Bauer. „Am besten wäre es, du fräßest auch mich.“
Der satte Rabe krächzte fröhlich: „Du bist mir zu mager. Aber ich werde dir deine Ochsen bezahlen, nur mußt du mir folgen.“
„Ich werde dir folgen, führe mich nur irgendwohin in ein finsteres Grab.“
„Nur Ruhe, mein Bäuerlein“, sagte der Rabe. „Ich werde fliegen – du wirst gehen. Und damit du mich nicht verlierst, werde ich die Wipfelzweige im Walde abbrechen. So wirst du zu meinem Schloß kommen und dort werde ich dich reich belohnen.“ Der Rabe erhob sich zum Fluge, und kaum daß der Bauer ihm nach in den hellen Himmel hinauf blinzelte, war er verschwunden. Man hörte nur noch weit und immer weiter zweige brechen und zu Boden fallen.
Der arme Mann ging und ging. Tag und Nacht, immerfort, den abgebrochenen Ästen nach. Am dritten Tag, gegen Abend, fand er aber keine Zweige mehr. Er irrte hin und her und konnte sich kaum mehr aufrecht erhalten.
Da sah er sich plötzlich auf einer großen Wiese. Am Rande standen drei goldene Burgen. Inmitten der Wiese saß ein Mann – groß wie eine Tanne – und schürte mit seinem Stab in glühender Asche. „Oho, was suchst du hier, du kleiner Mensch?“ rief er dem Bauern zu.
„Ich suche einen Raben.“
Der Riese wiegte den Kopf und sagte: „wirst du den Raben, den du suchst, unter tausenden herausfinden?“
„Das wäre nicht schlecht. Er hat gehinkt und war alt und schon mehr grau als schwarz. Der Schnabel war ganz hart, sonst hätte er nicht meine zwei Ochsen auffressen können. Im Walde hat es nur so gekracht, als er die Zweige abbrach.“
„Nun, wir werden sehen“, sagte der Riese und pfiff auf einem Finger so laut, daß die Wälder ringsum widerhallten.
Gleich kam eine Rabenschar angeflogen und setzte sich auf die Burg. Aber der gesuchte Rabe war nicht unter ihnen.
Wieder Pfiff der Riese. Ein zweiter Schwarm kam herbei und besetzte das zweite Schloß. Aber auch unter diesen war der Richtige nicht. Zum drittenmal pfiff nun der Riese, daß es über die Wälder hinwegrauschte, und von allen Seiten kamen neue Raben und setzten sich auf das dritte Schloß. Aber auch jetzt konnte der Bauer seinen Raben nicht finden.
„Seid ihr alle hier, meine Raben?“ fragte der Riese.
„Der alte Hinkerabe ist noch zurückgeblieben“, sagten die Vögel.
„Das wird der gesuchte sein. Mach dich nur bereit. Hinkerabe wird dich in das dritte Schloß führen und dir viel Gold und Silber geben wollen. Nimm es nicht, es würde wie Sand unter deinen Fingern zerrinnen. Nimm aber ein kleines weißes Tüchlein, das auf dem Tische liegt. Es ist ein Wunschtüchlein und drei Wünsche erfüllen sich dir, wenn du das Tüchlein an deinen Mund legst und ihm die Wünsche sagst. Sei klug und wünsche recht.“ Als der Riese dies gesagt hatte, kam schon der Hinkerabe herbeigeflogen.
„Wo bleibst du so lange, mein Diener?“
„Gebieter“, sagte der Rabe, „ich habe diesen Menschen im Walde gesucht, damit er sich nicht verirre.“
Der Riese schwenkte seinen Stab und die Raben stoben auseinander. Der Hinkerabe aber führte den Bauern in das dritte Schloß. Er wollte ihm Gold und Silber geben, aber der Bauer gedachte des Rates und nahm es nicht. „Gib mir nur das weiße Tüchlein, das hier auf diesem Tische liegt“, bat er.
„Was soll es dir? Es wird dir nichts nützen“, sagte der Rabe.
„Aber ich will es haben“, beharrte der Bauer.
Da gab ihm der Rabe das Tüchlein und der Bauer ging.
Er ging den ganzen Tag, aber er war müde und hungrig. Die Sonne brannte heiß. Er zog das Tüchlein aus der Tasche und wischte sich die Schweißtropfen von Stirne und Wangen. „Wäre ich doch schon zu Hause“, seufzte er, gerade in dem Augenblick, als er sich mit dem Tüchlein die Lippen trocknete. Und im Hui ging es durch die Luft und in der nächsten Sekunde stand er in der Stube vor seinem Weibe.
„Wo warst du so lange?“ fragte die Frau, „und wo hast du unsere ochsen gelassen?“
Der Bauer hatte sich von seinem Schreck über die sausende Luftfahrt noch nicht erholt, und in seinem Kopf drehte es sich, als ginge ein Mühlrad darinnen herum; und so sagte er, ohne zu bedenken, was er tat: „Ich wünschte, ich hätte sie im Stall gelassen.“ Und weil er das Tüchlein noch vor dem Munde hielt, ging auch dieser Wunsch in Erfüllung und er hörte gleich darauf die hungrigen Tiere im Stall brüllen.
Nun erschrak er noch mehr. „Zwei Wünsche habe ich vertan“, jammerte er. „Nur einen habe ich noch frei. Da heißt es vorsichtig sein.“ Er erzählte seinem Weibe von dem Abenteuer mit dem Raben und vom Wunschtüchlein. „Und jetzt werden wir das Tüchlein wohl verwahren und es uns lange überlegen, ehe wir den dritten und letzten Wunsch aussprechen.“ Gesagt – getan. Das Tüchlein wurde in die Lade gelegt, die Lade zugesperrt und den Schlüssel steckte der Bauer hinter die Uhr.
Gar wohlgemut gingen Bauer und Bäuerin heute an die Arbeit. Hatten sie doch ein Tüchlein im Schrank, das ihnen Schätze der ganzen Erde herbeizaubern konnte, wenn sie nur wollten. Sie schafften vom frühen Morgen bis zum späten Abend und im Bette überlegten sie dann lange, was sie sich wünschen könnten.
„Wünschen wir uns Kühe“, meinte die Frau.
„Vielleicht können wir uns die Kühe, wenn wir fleißig sind, selbst kaufen und später einmal etwas besseres wünschen“, sagte der Mann.
Nun arbeiteten sie, wie sie früher nie gearbeitet hatten; zwischendurch malten sie sich aus, was sie sich alles wünschen könnten, und in einem Jahr standen in ihrem Stall zwei stattliche Kühe neben den beiden ochsen.
„Jetzt sollten wir uns Wiesen wünschen“, sagte die Frau. „Die Kühe werden Kälber bekommen, die Kälber werden groß, ochsen haben wir auch und alle sollen sie fressen.“
„Vielleicht können wir uns sie Wiesen, wenn wir fleißig sind, selber kaufen und uns später einmal etwas Besseres wünschen“, sagte der Mann.
Und so war es auch. Sie arbeiteten, was es Zeug hatte, und eh ein Jahr um war, da hatten sie Wiesen genug; auch Felder hatten sie erworben und der Viehstand war um zwei Kühe und einen Stier angewachsen. An das Wunschtüchlein hatten sie in dieser Zeit wenig gedacht. Tagsüber war so viel Arbeit, da hatte man keine Zeit zum Denken, und am Abend war man so müde, daß man einschlief, wie man sich ins Bett legte.
Aber einmal kam es der Frau doch wieder in den Sinn. „Wünschen wir uns ein Bauerngut“, sagte sie .
„Vielleicht können wir uns ein Bauerngut, wenn wir fleißig sind, selbst kaufen und uns später einmal etwas Besseres wünschen“, sagte der Mann.
Die Frau war’s zufrieden. Munter schaffte sie im Haus, munter schaffte der Mann auf den Feldern und Wiesen, und die Rinder, die mittlerweile herangewachsen waren, gingen ihnen brav an die Hand. Frohsinn herrschte unter ihnen und machte alle Arbeit leicht. Und als zwei weitre Jahre um waren, da hatten sie ein großes Bauerngut, das schönste im Dorfe und waren angesehen und hochgeehrt.
Das Wunschtüchlein aber lag wohlverwahrt in der Lade. Sie dachten gar nicht mehr daran, sich etwas zu wünschen, so glücklich waren sie durch ihrer Hände Arbeit geworden.

Quelle: Slowakische Märchen; nacherzählt von Robert Michel und Cäcilie Tandler; Wilhelm Andermann Verlag Wien; 1944

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