WITASKA

Es war einmal eine Frau, die hatte einen einzigen Sohn. Diesen Sohn stillte sie zweimal sieben Jahre. Dann führte sie ihn in den Wald und befahl ihm, eine Fichte samt den Wurzeln aus dem Boden zu reißen. Das vermochte der Knabe nicht.
„So bist du noch nicht stark genug“, sagte die Mutter, gong heim mit ihm und stillte ihn noch weitere sieben Jahre. Nun war er einundzwanzig Jahre alt, und sie führte ihn wieder in den Wald und befahl ihm, eine buche samt den Wurzeln aus dem Boden zu reißen. Der Sohn packte den Stamm und riß den Baum mit allen Wurzeln aus der Erde.
„Jetzt bist du stark, und Witaska, das ist der Baumausreißer, will ich dich nennen. Willst du fortan für mich sorgen, Witaska?“ fragte die Mutter.
„Wahrlich, das will ich, sage mir nur, was ich zuerst für dich tun kann.“
„Zuerst suche für mich ein geräumiges Haus“, antwortete die Mutter.
Witaska nahm die Buche, so wie sie war mit allen ihren Ästen, statt eines Wanderstabes, und so ausgerüstet begab er sich auf den Weg, der Mutter ersten Wunsch zu erfüllen.
Er ging dem Winde nach, auf breiten Wegen und auf schmalen Waldpfaden, bis er zu einer Burg kam. In dieser Burg wohnten Drachen.
Die Drachen wollten ihm den Eintritt verwehren, aber Witaska fragte nicht lange, er sprengte das Tor, ging in den Burghof, erschlug alle Drachen und warf ihre Leiber über die Burgmauer, und dann nahm er die Burg in Augenschein. Sie gefiel ihm gut. Die Zimmer waren schön und es gab ihrer zehn. Das zehnte aber war versperrt. Er fand den Schlüssel zu diesem Zimmer, schloß es auf und fand darinnen einen Drachen sitzen, der mit eisernen Reifen an die Mauer angeschmiedet war.
„Was tust du hier?“ fragte Witaska.
„Ich sitze fest“, antwortete der Drache. „Meine Brüder haben mich gefesselt. Befreie mich und ich werde dich belohnen.“
„Oh, du bist gewiß ein arger Bösewicht, wenn deine Brüder dich anschmieden mußten, ich werde dich lieber nicht befreien“, sagte Witaska und schlug die Tür wieder hinter sich zu.
Er ging die Mutter holen und führte sie in die Burg.
Er zeigte ihr neun Zimmer, vor der Tür des zehnten blieb er stehen und bat die Mutter, nie diese Tür zu öffnen, da sie sonst Schaden nehmen könnte. Dann nahm er seine Keule und ging auf die Jagd, um für die Mutter einen Braten zu holen.
Kaum hatte Witaska dem Haus den Rücken gekehrt, da lief die Mutter zur Tür des zehnten Zimmers, schloß sie auf und trat ein.
„Wer bist du?“ fragte sie den Unhold.
„Ich bin ein Drachen. Meine Brüder haben mich angeschmiedet. Sie hätten mich sicher längst befreit, aber dein Sohn hat sie alle erschlagen. Befreie du mich, ich werde dich reich belohnen, und wenn du willst, nehme ich dich zur Frau.“
„Ich will schon, aber was wird Witaska sagen?“ meinte die Mutter.
„Wir werden ihn aus der Welt schaffen“, sagte der Drache.
Die Mutter überlegte lange, schließlich fragte sie, wie sie ihn von seinen Fesseln befreien könne.
„Geh in den Weinkeller und bringe mir aus dem letzten Faß einen Becher Wein.“
Die Mutter lief.
Als der Drache den Wein getrunken hatte, krach, da fielen die Reifen, und der Drache war frei.
„Was werden wir nun mit meinem Sohn beginnen, wenn er heimkommt?“ fragte die Mutter.
„Höre“, sagte der Drache, „stelle dich krank, und wenn er dich fragt, wie er dir helfen könne, sage ihm, er müsse dir ein Ferkel der Erdsau bringen. Will er das wirklich holen, wird die Erdsau ihn töten.“
Witaska kam von der Jagd und brachte der Mutter einen Rehbock. Aber die Mutter stöhnte und jammerte:
„Ach, lieber Sohn, ich kann nichts essen, ich bin zum Sterben krank.“
„Mutter, Mutter, du darfst nicht sterben, sage mir, was kann dich wieder gesund machen? Ich hole es dir, und wäre es aus der Hölle“, sprach bekümmert Witaska, der seine Mutter sehr liebte.
„Ich kann nur dann gesund werden, wenn ich das Fleisch eines Ferkels der Erdsau esse“, jammerte die Mutter.
Witaska zögerte nicht, er packte seine Buche und ging die Erdsau suchen.
Der Arme suchte kreuz und quer, er wußte ja nicht, wo die Erdsau zu finden war, und so kam er plötzlich in den Wald an einen Turm. In diesem Turm fand er die gute Fee.
„Wohin gehst du, Witaska?“ fragte ihn die Fee.
„Ich suche die Erdsau, um ihr ein Ferkel zu nehmen. Meine Mutter ist krank, nur das Fleisch des Ferkels kann sie gesund machen.“
„Lieber Witaska, es würde dir kaum gelingen, der Erdsau ein Ferkel zu rauben, aber ich will dir helfen. Nur mußt du getreulich befolgen, was ich dir rate.“
Das versprach Witaska gern.
Da gab ihm die Fee einen langen scharfen Speer. Dann sagte sie: „Geh in den Stall und setz dich auf mein Pferd, es wird dich zur Erdsau tragen. Sie ist tief in der Erde vergraben, aber ihre ferkel wirst du gleich sehen. Stich nach einem mit dem Speer, doch nur ganz leicht, damit du es nicht verletzest. Dann verstecke dich. Das Ferkel wird quieken und die Erdsau wird aus der Erde herausfahren. Wenn sie sieht, daß kein Mensch in der Nähe und dem Ferkel nichts geschehen ist, wird sie ihm androhen, es zu zerreißen, wenn es noch einmal ohne Grund schreit. Dann wird die Erdsau in ihrer Wut einmal um die Erde laufen und sich nachher wieder vergraben. Ist es so weit, so stich ein zweites Mal nach dem ferkel und es wird sich nicht getrauen zu schreien und die Erdsau wird sich nicht rühren. Dann kannst du das Ferkel packen und mit ihm davonreiten.“
Witaska nahm den Speer, setzte sich auf das Roß und das trug ihn im Fluge weit, weit, bis dorthin, wo die Erdsau in der Erde vergraben war.
Und alles geschah, wie die gute Fee es ihm vorhergesagt hatte.
„Hier ist das Ferkel“, sagte Witaska, als er wieder bei der guten Fee ankam.
„Schön“, sagte die Fee, „bringe es deiner Mutter.“
Witaska legte den Speer hin und führte das Pferd in den Stall, er dankte der guten Fee, band das Ferkel an den Buchenstamm und eilte zur Mutter zurück.
Die Mutter war mit dem Drachen gerade beim Schmaus. Ihren Sohn hatte sie nicht erwartet, und nun war er plötzlich da.
„Stell dich weiter krank“, riet der Drache, „und sage ihm, daß dir nur noch ein totes und ein lebendes Wasser helfen könne. Will er dir das beschaffen, so wird er daran zugrunde gehen.“
Witaska trat freudig in die Burg ein und gab der Mutter das Ferkel. Aber sie jammerte und stöhnte, sie müsse sterben, das Ferkel könne ihr nicht mehr helfen.
„Du darfst nicht sterben, liebe Mutter; sage, was kann dich gesund machen, ich will es dir herbeischaffen.“
„Lieber Sohn, mir kann nichts helfen als lebendes und totes Wasser, und wo willst du das finden?“
Witaska überlegte nicht lange; er nahm seine Buche unter den Arm und ging geradewegs zu der guten Fee.
„Was willst du wieder, Witaska?“ fragte die gute Fee.
„Rate mir, ich bitte dich, wo kann ich totes und lebendes Wasser finden? Meine Mutter ist noch immer krank und nur dieses Wasser kann ihr Heilung bringen.“
„Das wäre eine zu schwere Aufgabe für dich allein. Aber ich will dir helfen. Da hast du zwei Krüge, setze dich auf mein Roß, es wird dich zu zwei Grotten tragen. Die rechte Grotte öffnet sich gegen Mittag und aus ihr fließt das lebende Wasser. Die linke Grotte öffnet sich gegen Mitternacht und in ihr steht das tote Wasser.“ So sagte die gute Fee. Witaska dankte ihr, nahm die zwei Krüge, setzte sich aufs Pferd, und im Augenblick waren sie im Winde davon.
Irgendwo, weit, lagen die zwei Grotten, zu denen trug ihn das Roß. Als es Mittag war, öffnete sich die rechte Grotte, das lebende Wasser stürzte hervor und beinahe hätte es Witaska umgeworfen. Rasch füllte er den einen Krug, schwang sich aufs Roß und ritt zur linken Grotte. Dort wartete er bis Mitternacht. Die Grotte öffnete sich und in ihr stand das tote Wasser. Witaska sprang rasch hinzu und füllte den anderen Krug. Die Grotte schloß sich ganz plötzlich, beinahe wäre ihm der Arm eingeklemmt worden, aber er kam doch noch heil davon. Er sprang aufs Roß und dieses trug ihn im Fluge zurück zu der guten Fee.
„Hier ist das Wasser“, sagte Witaska und gab ihr beide Krüge.
Die gute Fee vertauschte die Krüge. Witaska merkte es nicht, daß er dafür zwei Krüge bekam, die mit ganz gewöhnlichem Wasser angefüllt waren.
„Die bringe deiner Mutter“, sagte die gute Fee. Witaska dankte und ging.
Die Mutter und der Drache waren wieder beim Mahle. Sie dachte gar nicht mehr an Witaska. Da sahen sie ihn kommen. Sie erschraken sehr.
„Stell dich krank und sage, daß du nur dann gesund werden kannst, wenn er dir den Vogel Pelikan bringt. An dieser Aufgabe muß er zugrunde gehen“, sagte der Drache.
Als Witaska voller Freude der Mutter die beiden Krüge übergab, da nahm sie sie nicht und jammerte nur, das Wasser könne ihr nicht mehr helfen, sie sterbe.
„Stirb nicht, liebe Mutter“, sagte Witaska, „was kann dich heilen? Ich will es dir bringen.“ Ja, er war ein guter Sohn.
„Es gibt keine Hilfe für mich, nur der Anblick des Vogels Pelikan könnte mich retten.“
Witaska nahm seine buche und unverdrossen ging er zu der guten Fee.
„Was willst du wieder?“ fragte sie Witaska.
„Ich bitte dich, sage mir, wo kann ich den Vogel Pelikan finden? Nur sein Anblick kann meine Mutter retten.“
„Das wäre eine zu schwere Aufgabe für dich allein. Aber ich will dir helfen. Der Pelikan ist ein Riesenvogel mit einem langen Hals, und wenn er mit den Flügeln flattert, macht er soviel Wind, daß sogar Bäume umfallen. Nimm dieses Gewehr, setze dich auf mein Roß, es wird dich zum Vogel Pelikan tragen. Gib aber gut acht, von welcher Seite der Wind weht. Auf d e r Seite mußt du das Gewehr anschlagen, und sobald du hörst, daß der Hahn des Gewehres aufschlägt, steck den Ladestock rasch in den Lauf.
Witaska dankte, nahm das Gewehr, setzte sich aufs Pferd, und sie flogen, weit, weit, zum Vogel Pelikan.
Das Pferd hielt in einer großen Ebene an und da fühlte Witaska, daß der Wind an seiner rechten Wange vorbeistrich. Auf dieser Seite legte er das Gewehr an und: klapp, fiel der Zündhahn. Witaska stieß den Ladestock in den Lauf, warf das Gewehr über die Schulter, das Roß hob sich zum Fluge und bald waren sie bei der guten Fee.
„Ich weiß nicht, ob ich es gut oder schlecht gemacht habe, aber ich habe so getan, wie du es mir befohlen hast“, sagte Witaska und gab der Fee das Gewehr.
„Gut hast du alles gemacht, er ist hier!“ rief die gute Fee, nachdem sie in den Gewehrlauf geblickt hatte. Dann verwahrte sie den Vogel Pelikan und gab dem Witaska ein anderes Gewehr und befahl ihm, einen Adler zu erlegen.
Er ging in den Wald und bald kam er mit einem Adler zurück.
„Bringe diesen Vogel deiner Mutter“, sagte die gute Fee, und Witaska, der glaubte, es sei der Vogel Pelikan, dankte und ging heim.
Wieder schmausten der Drache und die Mutter; sie freuten sich, denn sie glaubten, daß Witaska nie mehr zurückkehren würde. Da sahen sie ihn kommen. Sie erschraken sehr.
„Stelle dich wieder krank, sage ihm, daß dir überhaupt nichts mehr helfen kann, außer den goldenen Äpfeln aus dem Garten der Drachen. Will er dir auch diese bringen, so werden die Drachen ihn zerreißen, denn sie hassen ihn, weil er unsere Brüder umgebracht hat.“ So sprach der Drache zu der Mutter.
Witaska brachte freudig den Vogel der Mutter, aber sie jammerte und stöhnte, daß ihr der nicht mehr helfen könne, sondern nur die goldenen Äpfel aus dem Garten der Drachen.
„Du sollst sie haben, liebe Mutter“, sagte Witaska, und ohne auszuruhen, eilte er wieder zu der guten Fee.
„Was willst du wieder?“ fragte sie Witaska.
„Sage mir, ich bitte dich, wo finde ich die goldenen Äpfel aus dem Garten der Drachen? Nur diese können meine Mutter gesund machen.“

„Mein Junge, und wärst du noch stärker, als du bist, du würdest unterliegen. Aber ich will dir helfen. Da hast du einen Ring. Stecke ihn an. Wenn es notwendig ist, denke an mich, drehe den Ring, und du wirst die Kraft von hundert Riesen haben. Jetzt setze dich auf mein Roß, es wird dich zum Garten der Drachen bringen.
Witaska dankte, setzte sich auf das Roß, und sie flogen durch die Luft bis zu einem Garten, den eine hohe Mauer umschloß. Wenn Witaska nicht das Roß der Fee gehabt hätte , wäre er nie ins Innere des Gartens gelangt. Das Pferd aber trug ihn über die Mauer in den Garten hinein. Witaska sprang zu Boden und schaute aus nach dem Baum mit den goldenen Äpfeln.
Da kam ein wunderschönes Mädchen auf ihn zu und fragte, was er hier wolle. Witaska erzählte es ihr.
„Diesen Baum bewacht der Drache selbst und er wird dich töten, wenn er dich sieht.“
Witaska aber ließ sich nicht abschrecken und eilte tief in den Garten hinein.
In der Mitte des Gartens stand der Apfelbaum und unter ihm lag der Drache.
„Was willst du hier, Mörder meiner Brüder?“ brüllte der Drache.
„Goldene Äpfel will ich“, sagte Witaska ohne Furcht.
„Du wirst keinen einzigen bekommen, aber kämpfen wirst du mit mir und ich werde dich töten“, rief der Drache.
„Gut, los!“ sagte Witaska. Er dachte rasch an die gute Fee, drehte den Ring an seinem Finger und begann mit dem Drachen zu ringen. Ja, er hatte jetzt die Kraft von hundert Riesen, und mit dieser Kraft packte er den Drachen, hob ihn hoch und stieß ihn in die Erde, daß der bis zu den Hüften versank und sich gar nicht mehr rühren konnte. Dann packte Witaska seine Buchenkeule und schlug dem Drachen den Schädel ein.
Nun war der Drache tot. Das schöne Mädchen lief herbei. Sie war überglücklich.
„Ich bin eine Königstochter“, sagte sie, „der Drache hat mich geraubt und hierhergebracht; nun hast du mich befreit. Komm mit mir in mein Land und werde mein Gemahl.“
„Gern“, sagte Witaska, „aber erst muß ich heim. Meine arme Mutter ist schwer krank, nur die goldenen Äpfel können ihr Leben erhalten. Ich werde sie ihr bringen, dann komme ich und freie um dich. Willst du auf mich warten?“
Die Prinzessin versprach es und gab dem Jüngling die goldenen Äpfel. Witaska setzte sich auf das Roß, sprang mit ihm über die Gartenmauer und flog zu der guten Fee.
„Bring die Äpfel deiner Mutter“, sagte die gute Fee, „diesmal aber kehre auf meinem Roß heim.“
Witaska dankte und ritt davon.
Der Drache und die Mutter schmausten wieder und sie erschraken, als sie Witaska heranreiten sahen. Das hätten sie nicht geglaubt, daß er aus dem Garten der Drachen wiederkehren könnte. Diesmal wußte der Drache keinen Rat mehr, er eilte rasch ins zehnte Zimmer und versteckte sich dort.
Als Witaska der Mutter die Äpfel gab, tat sie, als würde sie bei ihrem Anblick gesund. Sie erhob sich vom Lager und begann den Sohn zu bewirten und war zärtlich, wie einst, als er noch klein war.
Plötzlich nahm die Mutter einen langen starken Strick und sagte:
„Oh, mein Sohn Witaska, du Baumausreißer, ich möchte dich gerne fesseln, so wie ich einst deinen Vater gefesselt habe, damit ich sehe, ob du so stark bist, wie er war, als er die Fesseln zersprengte.“
Witaska lachte, legte sich hin und ließ sich von der Mutter mit dem starken Strick fesseln. Kaum war er fertig, zerriß er mit Leichtigkeit den Strick.
„Ja, du bist stark“, sagte die Mutter, „aber warte, versuchen wir es mit dieser Seidenschnur.“
Und sie fesselte ihn von neuem.
Witaska bemühte sich loszukommen, aber je mehr er sich anstrengte, desto tiefer schnitt ihm die dünne Seidenschnur ins Fleisch. Hilflos lag er da. In diesem Augenblick kam der Drache herbei und schlug ihm den Kopf ab. Dann schnitt er dem toten Witaska das Herz aus dem Leibe und hängte es an die Zimmerdecke. Die Mutter aber band den Kopf und den Rumpf ihres Sohnes in ein großes Tuch, legte das Bündel dem Pferde der guten Fee, das im Hof wartete, auf den Rücken und sagte: „Du hast den Lebendigen getragen, trage nun auch den Toten, wohin du willst.“
Das Roß zögerte nicht, hob sich zum Fluge und war gleich zu Hause bei seiner Herrin.
Diese wartete schon, denn sie hatte vorausgewußt, wie alles kommen werde. Sie wusch den Toten zuerst mit dem toten Wasser, dann setzte sie den Kopf auf den Rumpf und begoß ihn mit dem lebendigen Wasser, und Witaska war sofort wieder lebendig und gesund.
„Ich habe lange geschlafen und böse geträumt“, sagte Witaska.
„Du hättest bis ans Ende aller Zeiten geschlafen, wenn ich dich nicht wieder erweckt hätte“, sagte die gute Fee und erzählte ihm, was geschehen war.
Witaska konnte nicht weinen und nicht erschrecken, denn er hatte ja kein Herz. Das müsse er sich von der Burg holen, meinte die gute Fee.
Sie verkleidete ihn als Bettelmann, klebte ihm einen weißen Bart ins Gesicht, gab ihm einen Dudelsack und sagte, er solle in die Drachenburg gehen und dort aufspielen. Als Lohn möge er das Herz verlangen, und wenn er es habe, sofort zurückkommen.
Witaska ging, und siehe da, die Mutter schaute gerade aus dem Fenster, und so stellte er sich hin und begann auf dem Dudelsack zu spielen.
Der Mutter gefiel das Spiel, sie rief den Bettelmusikanten in die Burg. Sie erkannte in dem alten Mann ihren Sohn nicht.
Witaska spielte nun im Zimmer weiter und die Mutter begann mit dem Drachen zu tanzen und sie hörten erst auf, als sie vor Müdigkeit nicht mehr konnten. Dann bewirtete die Mutter den Dudelsackspieler und gab ihm als Lohn einige Münzen, aber die wollte der Spielmann nicht nehmen.
„Was soll ich mit dem Geld anfangen, ich bin ja alt und brauche nicht mehr viel.“
„Was soll ich dir sonst geben? Wünsche dir etwas!“ erwiderte die Mutter.
„Was soll ich mir wünschen?“ sagte Witaska und sah sich im Zimmer um. „Gib mir das Herz, das dort an der Zimmerdecke hängt. Ich esse Herz für mein Leben gern.“
„Das geben wir dir gern“, sagte der Drache und die Mutter nahm das Herz und gab es Witaska.
Witaska dankte und eilte aus der Burg fort, zurück zur guten Fee.
„Gut, daß wir das Herz haben“, sagte die Fee. Sie nahm es, wusch es zuerst mit dem toten, dann mit dem lebenden Wasser, und schließlich gab sie es dem Vogel Pelikan in den Schnabel. Der streckte seinen langen dünnen Hals und setzte das Herz Witaska auf dem richtigen Platz ein. Witaska fühlte gleich, wie es ihm munter schlug. Für diesen Dienst gab die gute Fee dem Vogel Pelikan die Freiheit.
Dann sagte sie zu Witaska: „Jetzt wirst du noch einmal in die Burg gehen und Gericht halten. Ich verwandle dich in eine taube, und wenn du an mich denkst, wirst du dich in einen Menschen zurückverwandeln. Und du wirst mit einem Schwert bewaffnet sein.“
Kaum hatte sie das gesagt, wurde Witaska zu einer Taube und flog zur Burg.
Die Mutter war mit dem Drachen gerade in zärtlicher Unterhaltung, als die Taube sich auf dem Fensterbrett niederließ. Die Mutter sah die taube und befahl dem Drachen, den Vogel zu erschießen. Bevor der Drache aber das Gewehr holen konnte, flog die Taube ins Zimmer und verwandelte sich in einen Menschen. Witaska faßte nach seinem Schwert und hieb dem Drachen den Kopf ab.
„Was soll mit dir geschehen, du ungute Mutter?“ fragte er die Frau, die in ihrer Angst auf die Knie fiel und um Erbarmen bat.
„Fürchte dich nicht, ich tue dir nichts. Gott möge dich richten.“
Er führte die Mutter auf den Söller, zog sein Schwert und sprach: „Siehe, Mutter, dieses Schwert werde ich in den Wind. Wenn ich schuldig bin, trifft es mich; bist du schuldig, trifft es dich. Gott soll unser Richter sein.“
Das Schwert sauste in den Wind, glänzte in der Sonne, flog zurück, am Kopfe Witaskas vorüber mitten in die Brust der Mutter.
Weinend begrub Witaska seine Mutter. Dann kehrte er zu der guten Fee zurück, dankte ihr von Herzen für alles, gürtete das Schwert wieder um, in die Faust nahm der seine Buche, und so ging er zu seiner schönen Prinzessin.
Die war schon bei ihrem Vater und hatte bereits viele Freier abgewiesen. Sie wartete auf Witaska und eines Tages stand er wirklich vor ihr.
„Das ist mein lieber Bräutigam“, rief die Prinzessin freudig und führte ihn zu ihrem Vater.
Es wurde eine schöne Hochzeit gerichtet, der König gab ihnen das Land – und damit ist das Märchen zu Ende.

Quelle: Slowakische Märchen; nacherzählt von Robert Michel und Cäcilie Tandler; Wilhelm Andermann Verlag Wien; 1944

© digitale Bearbeitung Norbert Steinwendner, St. Valentin, NÖ.

 
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