JANKO UND DIE MEERJUNGFRAU

In einem Dorf lebten in alten Zeiten Eheleute. Obgleich sie sehr arm waren, wünschten sie sich doch ein Kind. Gott erhörte ihre Gebete und sie bekamen einen Sohn.
Da sie arm waren, fanden sie keinen Paten für das Kind. Da kam eines tages ein Bettler vors Haus des armen Mannes.
“Warum bist du so traurig?” fragte der Bettler den armen Mann.
“Weil ich keinen Paten für mein neugeborenes Kind finde”, antwortete der arme Mann.
“Ich bin nu rein Bettler, aber wenn du willst, so gehe ich als Pate. Schenken kann ich dem Kind jedoch nichts, höchstens einen kupfernen Fünfer.”
“Du bist mir willkommen als Pate und ich verlange kein Geschenk”, erwiderte der arme Mann.
“So werde ich dich morgen vor der Kirche erwarten”, sagte der Bettler.
Die Eltern trugen das Kind am anderen Tag zur Taufe und gaben ihm den Namen Janko. Der alte Bettler war pate. Den kupfernen Fünfer legte er dem Kind in die Windel, segnete es und verschwand.
Die Eltern bewahrten den kupfernen Fünfer gut auf und nahmen sich vor, ihn nie für sich selber zu verwenden, und wenn eine noch so große not über sie käme.
Aber seit sie den kleinen Sohn hatten, gab es volle Ecken von Gottes Segen und es ging ihnen gut. Janko wuchs wie aus dem Wasser und es wurde aus ihm ein hübscher Bursche. Die Eltern liebten ihn über alles; und obwohl auch Janko seine Eltern sehr lieb hatte, locket es ihn, als er erwachsen war, vom Heim weg in die Welt hinaus.
“Liebe Eltern”, sagte er eines Tages, “ihr habt lange genug für mich gesorgt, jetzt bin ich groß und stark und kann selbst für mich sorgen. Ich bitte Euch, erlaubt mir, daß ich mich ein wenig in der Welt umsehe.”
Die Eltern hörten solche Reden nicht gern, aber als sie sahen, daß Janko nicht nachgeben wollte, ließen sie ihm seinen Willen und rüsteten ihn für die Reise aus.
Da kam unversehens ein alter Mann vor die Hütte, de rein schönes Pferd am Halfter führte.
“Wollt ihr mir das Pferd abkaufen?” fragte er.
“Was kostet das Pferd?” fragte der Vater.
“Einen kupfernen Fünfer.”
Janko gab mit Freude dem Alten den kupfernen Fünfer, der sein Patengeschenk gewesen war, und der Alte, nachdem er ihm das Pferd übergeben hatte, ging rasch seiner Wege.
Janko war überglücklich mit dem prächtigen Pferd. Er verabschiedete sich von seinen Eltern, stieg in den Sattel und ohne weiteres Zögern ritt er in die Welt.
Al ser schon weit vom Hause war und über eine grüne Wiese ritt, sagte das Pferd zu Janko: ”Wenn ich stolpere, so steig ab und schau, was unter meinen Hufen liegt.”
Janko wunderte sich, daß sein Pferd reden könne, und er wollte etwas sagen, aber da stolperte schon das Pferd und unter seinem Huf glänzte ein Lichtlein auf. Als Janko sich danach bückte, erkannte er, daß es kein Lichtlein, sondern eine goldene Feder war.
“Soll ich sie aufheben?” fragte Janko.
“Freilich”, antwortete das Pferd. “Es ist eine Feder aus dem Flügel des Feuervogels. Bewahre sie gut auf. Anfangs wird sie dir wenig Freude machen, später aber um so größere.”
Janko hob die Feder auf, wickelte sie in ein weißes Tuch und verbarg sie unter dem Hemd.
Sie setzten den Weg fort und kamen in eine große Stadt. Als sie am Schloß vorbeiritten, schaute der König aus dem Fenster. Der schöne Janko gefiel ihm.
“Wohin des Wegs?” fragte der König.
“In die Welt”, antwortete Janko.
“Willst du bei mir dienen?” fragte der König.
“Gerne will ich das, wenn mein Pferd bei mir bleiben darf”, erwiderte Janko.
“Das kann geschehen”, sagte der König und so trat Janko in seinen Dienst. Er bekam die Pferde zur Pflege. Sein eigenes durfte er zu den andern in den Stall stellen und Janko schlief neben seinem Pferd.
Seit Janko die Pferde betreute, wurden sie von Tag zu Tag schöner. Das Fell wurde wie Samt und die Mähnen fielen wie goldene Wellen vom Halse.
Dem König gefiel das, aber er hätte zu gern gewußt, wie Janko es anstellte, daß die Pferde so gut gediehen. Eines Nachts schlich er sich in den Pferdestall und da sah er, wie Janko eine golden Feder aus einem weißen Tuch wickelte und die Feder strahlte ein Licht aus, daß es ganz hell im Stall wurde.
“Das ist eine Feder vom Feuervogel”, rief der König aus und entriß sie dem Janko. “Wie konntest du dich unterstehen, diese Feder vor mir zu verstecken?” schrie er den Erschrockenen an. “Dafür verdienst du den Tod. Ich will dir aber dein Leben lassen, wenn zu mir den ganzen Vogel bringst.” Nach diesen Worten wendete sich der König von ihm ab und ging in seine Gemächer; die goldene Feder aber hatte er mitgenommen.
Weinend blieb Janko im Stall.
“Weine nicht”, sagte sein Pferd, “ich werde dir helfen. Geh zum König und verlange von ihm einen Futtertrog voll mit goldenem Weizen und ein seidenes Fangnetz. Hast du beides, warden wir uns auf den Weg machen.”
Schon am nächsten Tag konnten sie die Reise beginnen. Sie ritten viele Tage, bis sie zum goldenen Berg kamen. Hier hielt das Pferd und sagte: “Nimm das Fangnetz und den goldenen Weizen und geh auf diesen Berg. Oben ist ein Brunnen. Zu dem kommen jede Nacht die Feuervögel. Rings um den Brunnen streue den goldenen Weizen. Die Vögel werden davon fressen und da mußt du sehr geschickt sein und über einen das Fangnetz werfen. Ist der drunter, so rufe mich.”
Janko befolgte getreulich, was das Pferd ihm geraten, und als einer der Feuervögel unter seinem Fangnetz flatterte, da rief er nach seinem Pferd. Im gleichen Augenblick stand es neben Janko. Er schwang sich in den Sattel, den Feuervogel hielt er fest, und sie ritten davon. Es war höchste Zeit, den schon wollten die anderen Feuervögel auf Janko loshacken, und sie hätten ihn gewiß totgepickt, wenn sie ihn erwischt hätten.
Der König freute sich sehr über den herrlichen Vogel. Er setzte ihn in den schönsten raum auf einem goldenen Stab und fütterte ihn mit goldenen Körnern. Janko wurde wieder in den Stall verwiesen. Seine goldene Feder bekam er nicht mehr.
Der König hielt sich meist bei seinem Feuervogel auf. Er hielt ihn für das Schönste, was es auf Erden gab. Eines Tages jedoch erzählte ihm irgendwer, daß es auf der Welt noch etwas Schöneres als diesen Vogel gäbe, nämlich die Meerjungfrau. Der sei auf dem Erdenrund nichts an Schönheit zu vergleichen.
Da erwachte in dem König die Begierde, diese Jungfrau zu besitzen. Und warum sollte er sich einen Wunsch versagen? Wenn Janko den Feuervogel fangen konnte, mußte es ihm auch gelingen, die Meerjungfrau herbeizuschaffen. Gleich ließ er Janko rufen.
“Sofort mach dich auf den Weg und bringe mir die Meerjungfrau; wenn du ohne sie zurückkommst, so schlage ich dir den Kopf ab”, sagte der König.
Janko erschrak sehr, aber der König ließ ihm keine Zeit, etwas zu sagen; er jagte ihn gleich in den Stall zurück.
Weinend erzählte Janko dem Pferd, welche Aufgabe er nun vollbringen müsse.
“Weine nicht”, sagte das Pferd, “ich werde dir helfen. Geh zurück zum König und verlange von ihm ein weißes golddurchwirktes Zelt und allerlei bunte glänzende Gewebe und Schmuckstücke. Dann verschaffe dir eine Hirtenflöte, und wenn du alles beisammen hast, warden wir uns auf den Weg machen.”
Das geschah schon am nächsten Tag. Sie ritten weit, weit, endlich gelangten sie ans Meer.
“Jetzt sitz ab”, sagte das Pferd, “stell das Zelt nahe dem Ufer auf, breite deine bunten glänzenden Waren im Zelte aus, dann setze dich vor das Zelt und warte. An jedem Mittag fährt die Meerjungfrau mit ihren Dienerinnen in einem goldenen Kahn auf dem Meer spazieren. Sobald du den Kahn erblickst, beginne auf deiner Flöte zu spielen. Wenn die Meerjungfrau dich hört, wird sie sich ans Ufer rudern lassen und mit ihren Dienerinnen zu dir kommen. Sage ihr, daß du ein Kaufmann seist und lade sie ins Zelt ein, damit sie deine Waren besichtige. Ist sie drinnen, so fasse sie bei der rechten Hand und rufe mich.”
Janko tat sofort alles, was das Pferd ihm geraten, und die Mittagsstunde war noch nicht lange vorüber, da standen die Meerjungfrau und ihre Dienerinnen in Jankos Zelt und bewunderten die schönen Waren, die da ausgebreitet lagen.
Da, als sich die Meerjungfrau mit einer Frage an ihn wandte, packet er sie bei der rechten Hand, und anstatt ihr zu antworten, rief er nach seinem Pferd, und siehe, im gleichen Augenblick war es an seiner Seite. Er schwang sich hinauf, die Meerjungfrau hob er vor sich in den Sattel, und schon jagten sie davon, ehe die Dienerinnen zur Besinnung kamen und den Meerkönig rufen konnten.
Der König war außer sich vor Freude, als er die wunderschöne Meerjungfrau erblickte. “Du geh sofort in deinen Stall zurück”, sagte er zu Janko, “und du, schöne Meerjungfrau, du wirst meine Frau.”
“O nein”, sagte die Meerjungfrau, “ich werde niemals deine Frau werden, denn ich bin jung und du bist alt.”
“Was heißt das? Wenn ich auch alt bin, werde ich dich doch heiraten”, rief der König.
Die Meerjungfrau schüttelte den Kopf. “Ich kann dich alten Mann nicht lieben. Janko ist es der mir gefällt, er soll mein Mann sein.”
“Ich lasse ihm den Kopf abschlagen”, schrie der König wütend, und er schickte gleich nach Janko, und als der Ahnungslose vor ihm stand, zog der König sein scharfes Schwert und schlug ihm den Kopf ab.
Kaum war dies geschehen, da entnahm die Meerjungfrau den Falten ihres weiten Gewandes ein kleines Fläschchen. Das Wasser des Lebens barg sie darin. Sie setzte den abgeschlagenen Kopf an den Platz, wohin er gehörte, bestrich den Hals des Janko mit der Flüssigkeit, und siehe – Janko sprang auf, war gesund und schöner als je zuvor. Nur ein goldener Streifen war ihm um den Hals geblieben.
Der König hatte staunend alles mit angesehen.
“Werde ich auch so jung und schön?” fragte er, “wenn man mir den Kopf abschlägt und wenn du mich dann mit dem Wasser aus deinem Fläschchen wieder zum Leben erweckst?”
“Freilich würdest du jung und schön zu neuem Leben erwachen”, sagte die Meerjungfrau.
Da reichte der König dem Janko sein Schwert und befahl, daß er ihm den Kopf abschlage.
Janko wollte nicht, aber als auch die Meerjungfrau es ihm befahl, nahm er das Schwert und gehorchte.
Die Meerjungfrau aber nahm ihr Fläschchen und warf es zum Fenster hinaus in den Brunnen und der alte König mußte tot bleiben.
Janko und die Meerjungfrau wurden sehr glücklich miteinander. Sie lebten in einem schönen Schloß und Jankos alte Eltern durften mit ihren vielen Enkelkindern spielen. Das Pferd aber war verschwunden und ließ sich nie wieder blicken.

Quelle: Slowakische Märchen; nacherzählt von Robert Michel und Cäcilie Tandler; Wilhelm Andermann Verlag Wien; 1944

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