Das Domnauer Düttchenbrot

Einst wurde in der Stadt Domnau in Ostpreußen ein Dieb zum Galgen geführt, und alle Ratsherren und Bürger begleiteten ihn in langem Zuge auf seinem letzten Weg. Als sie sich nun dem Richtplatz näherten, sagte der Verurteilte: "Ach, meine Herren, gewährt mir die letzte Bitte und erlaubt, daß ich noch vom nächsten Bäcker ein Düttchenbrot*) holen darf, denn mich hungert allzusehr!" Die Domnauer Ratsherren waren mitleidige Leute, die sahen in ihrer Weisheit wohl ein, daß das Erhängen auf nüchternem Magen dem armen Sünder unmöglich gut bekommen könnte und fühlten sich dadurch geehrt, daß es ihm in
seinem letzten Stündchen nach nichts anderem als nach einem ihrer schönen Düttchenbrote noch leckerte. Sie gewährten ihm also nicht allein seine Bitte, sondern der Bürgermeister zog in hoher Gnade ein Düttchen aus seiner Tasche und schenkte es dem Dieb als Kaufgeld. Dieser war aber über solche Gunst tief gerührt, ging zum nächsten Bäcker, der schon hart am Tore wohnte, .kaufte ein Düttchenbrot, aber aß es nicht, sondern steckte es als
Wegkost in seinen Ranzen, indem er spornstreichs weiter aus der Stadt jagte und den starrenden. Ratsherren noch zurief: "Dank, Domnauer, fürs Düttchenbrotl"

Seitdem nimmt es jeder Domnauer Bäcker übel, wenn man von ihm ein Düttchenbrot fordert; man muß Dreigroschenbrot**) sagen.

*) Düttchen = Dreigroschenstück.
**) Heute, Zehnpfennigbrot.

Quelle: Schelme und Narren; Josef Pöttinger; Verlag Ferdinand Ertl Wien; 1941

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