Das Heidemädchen von Kröllendorf

Vor mehr als hundert Jahren stand die Forstheide zwischen Amstetten und Kröllendorf im üblen Rufe, denn in den stundenweiten Wäldern verbarg sich allerlei Raubgesindel. Alleinfahrende Wagen wurden ausgeraubt und in die Ybbs geworfen, mancher Wanderer verschwand auf Nimmerwiedersehen. Die Gerichte von Waidhofen und Amstetten ließen die Forstheide oftmals durchstreifen, man fand zwar Lagerplätze, aber die Räuber selbst blieben immer verborgen.

In der Nähe des Kröllendorfer Schlosses hauste damals die alte Dorfliese, eine verrufene Person, einsam in einer zerfallenen Hütte. Eines Tages tauchte nun in Liesens Hütte ein elfjähriges Mädchen mit kohlschwarzen Haaren und Augen auf. Dina, so nannte sich der neue Ankömmling, bettelte in der ganzen Umgebung für die alte Dorfliese und spähte dabei jedes Haus aus, denn beide standen im Dienste der Räuberbande, deren Häuptling das Kind jedesmal blutig schlug, wenn es zu wenig heimgebracht hatte. So wuchs das Kind in bitterer Armut und schlechtester Gesellschaft auf.

Durch Zufall kam Dina mit der gleichaltrigen Emilie, der kränklichen Tochter des Kröllendorfer Schloßher, rn zusammen. Emilie nahm Dina freundlich auf und unterwies das Zigeunerkind in den Grundlehren des ihm völlig unbekannten Christentums. Dina fand endlich eine herzensgute Freundin und hörte endlich einmal gute Worte. Der Dank für diese liebe Behandlung sollte nicht ausbleiben.

Eines Tages fuhr Emiliens Mutter mit einem Pferdewagen durch die Heide. Nach wenigen Stunden schleppte sich der Kutscher blutüberströmt zurück und meldete dem Schloßherrn, daß der Wagen inmitten der Heide von Räubern überfallen worden sei. Die Sturmglocke von Kröllendorf läutete sofort viele Menschen zusammen, die nach der beliebten Schloßherrin forschten. Doch alles Suchen blieb vergebens, auch Dina war spurlos verschwunden.

Als aber die VerzweifIung im Kröllendorfer Schlosse aufs höchste gestiegen war, erschien dort eines Abends Dina und versprach, mit Emilie deren Mutter zu befreien. Beide Mädchen schlichen aus dem Schlosse und durcheilten in stockfinsterer Nacht die unheimliche Heide. Unter einem dichten Gestrüpp hob Dina einige Steine vom Boden, eine Falltür kam zum Vorschein und beide Mädchen tasteten sich durch einen unterirdischen Gang, der in eine Höhle mündete. Hier lag die Schloßherrin gefangen. Schnell wurde die Gefangene ihrer Fesseln entledigt, und alle drei huschten wieder unbemerkt auf demselben Wege ins Schloß zurück.

Unbeschreiblich war die Wiedersehensfreude! Die Räuber verschwanden, von der Angst gepackt, für immer aus der Gegend. Dina, deren Ziehmutter den Tod gefunden hatte, fand nun im Schlosse die liebevollste Aufnahme. Sie brachte mit den ihr bekannten Heilkräutern aus der Heide der kranken Freundin die völlige Gesundheit und das Heidemädchen lebte noch lange glücklich und zufrieden in Kröllendorf. (Adl.)

Quelle: Sagen aus dem Mostviertel, Band II; gesammelt von der Lehrerarbeitsgemeinschaft des Bezirkes Amstetten; Herausgegeben von Ferdinand Adl, Amstetten 1952

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