Der Kampf mit dem Löwen

Im Jahre 1090 wurden die Grafen von Sponheim Herzoge von Kärnten. Einer ihrer Nachkommen, Graf Bernard, galt als der bedeutendste unter den Männern dieses Geschlechtes. Die Sponheimer waren von jenseits des Rheines nach Kärnten gekommen, und Graf Bernards, des kampfberühmten Helden, Ruf reichte von seiner Heimat bis Sachsen und Italien. Er und seine Gattin Kunigunde besaßen einen einzigen Sohn Bruno, der in seiner schönsten Jugendblüte der Welt entsagte, Mönch und später Abt zu St. Paul wurde. Die Eltern richteten ihre Gedanken und Hoffnungen nun auf Heinrich, einen Neffen des Grafen, und verlangten, daß jeder an Brunos Stelle trete und der Erbe ihrer Güter werde. Dieser Jüngling war des bereits verstorbenen Heinrich von Sponheimer einziger Sohn. Doch auch der Neffe sollte die Wünsche Bernards und Kunigundens nicht erfüllen. Heinrichs Sinn war schon in den Tagen der Kindheit ein gottergebener. Als Knabe hatte er seinen Onkel ins heilige Land begleitet, und die geweihten Stätten, die er dort sah, hatten einen tiefen Eindruck auf sein Gemüt gemacht. Sobald er herangewachsen war, entstand auch in ihm der Wunsch, der Kirche zu dienen. Die Hochschule zu Paris besaß damals drei hochgelehrte Männer, deren Ruf weit über die Grenzen Frankreichs drang; Heinrich wollte dieselben hören und bezog die Pariser Hochschule. Vom römisch-deutschen Kaiser, der den Sponheimern nahe verwandt war, wurde Heinrich dem Frankenkönige Ludwig warm empfohlen und von Königin Adelheid, Ludwigs Gattin, mit mütterlicher Freundschaft empfangen. Auch die Tochter des Königspaares, Konstanze, eine Jungfrau von ungewöhnlicher Schönheit, zeigte sich dem Grafen Heinrich freundlich gesinnt. Ihre Vorzüge ließen ihn in seinen frommen Vorsätzen schwankend werden und erweckten das Verlangen, die holde Königstochter zur Gattin zu gewinnen.

Da kam des Königs Geburtsfest; dies versammelte die Edlen des Landes zu Turnier und Bankett. Von allen Enden des Reiches sah man die großen Vasallen und Würdenträger, die ganze lust- und streitbegierige Jugend in den Mauern von Paris sich versammeln. Der Ordnung des Kampfes gemäß, nach welcher jede Dame ihren Ritter erwählte, nannte Konstanze den Sponheimer Grafen, Heinrich zu Ortenburg und Sonnenberg, als ihren Ritter und umschlang ihn mit der selbstgewebten, weißblauen Schürze, dem Sinnbild der Unschuld und Treue.

Das Turnier begann. Hochmut und Neid hatten den zarten und sittigen Deutschen sich zur leichten Beute auserkoren. Er aber forderte nicht heraus, er suchte nicht, er mied nicht. Mannhaft ruhig harrte er seiner Reihe. Trompeten und Hörner, Pauken und Trommeln schmetterten und wirbelten wild durcheinander, und durch Staubwolken und Waffenklang, durch Geschrei und Getöse hindurch riefen mit mächtigem Laut Herold und Marschall endlich den Ritter der Königstochter in die Schranken. Er sprengte heran, maß dreimal im Kreise die weite Rennbahn und grüßte bescheiden, Haupt und Lanze neigend. Den ersten Gang hatte der vielbeneidete Jüngling mit einem riesigen Normann, der ihn hochmütigen Blickes maß, als verachte er solchen Kampf, als verschmähe er so leichten Sieg. Doch nur wenige Minuten und er stürzte, mächtig angerannt von Heinrich, zu Boden. Jetzt kamen die Schwerter an die Reihe. Auch hier siegte der Sponheimer und der Normann lag im Sande. Sein Fall entmutigte die jungen Edelknappen und Ritter. Wie weiches Rohr stach sie Heinrich von ihren Rossen und einmütig unter dem Zujauchzen der hin- und herwogenden und tosenden Menge ward ihm aus Konstanzens Hand der erste Preis des Turniers: Das Bildnis des Königs zwischen Edelsteinen an goldener Kette.

Ein prunkvoller Einzug und stolz rauschende Weisen eröffneten Tanz und Bankett. Da dröhnte urplötzlich der Schrei des Schreckens und des Jammers zu den Pforten lärmender Freude herein. Das Feuer hatte mehrere Häuser nahe der Burg ergriffen. Eine wilde Windsbraut heulte noch drohender in die knisternden, gefräßigen Flammen. Für das feste, abgesonderte Königsschloß war nichts zu fürchten; darum dachten Ritter und Edelherren nur daran, sich der Lust und den Freuden des Banketts zu widmen. Heinrich stand einen Augenblick sinnend, dann eilte er unbemerkt aus dem Tanzsaal und der Stätte des Jammers, wohin ihm der gerötete Himmel ein trauriger Wegweiser war. Sein sicherer Blick und kluger Befehl taten dem wilden Elemente baldigen Einhalt. Wie ein rettender Engel war er am Brandplatz erschienen. All sein Geld hatte er bereits mit freigebiger Hand gespendet und schon wollte er zum Hoffeste zurückeilen, als Jammerstimmen aus den Tiefen eines Gewölbes zu seinem Ohr drangen; sie kamen von einer Mutter mit ihrem Säuglinge und zwei zarten Kindlein. Durch Qualm und Rauch stürzte Heinrich hinein zu den Unglücklichen. Nach wenigen Minuten hatte er alle gerettet, dem Feuertode waren sie durch ihn entrissen, aber dem Hungertode schienen sie preisgegeben. Den letzten Goldgulden hatte Heinrich bereits gespendet; vergebens suchte er in Wams und Mantel. Plötzlich ergriff er den Kampfpreis, die goldene Kette mit dem Königsbilde; Not und Mitleid gestatteten ihm kein Besinnen, er warf die Kette in den Schoß der Fliehenden und eilte nach dem glänzenden Saale zurück. Dort erst fiel dem Grafen schwer aufs Herz, daß er den kostbaren Turnierpreis, den er aus der Prinzessin eigenen Hand empfangen hatte, weggegeben. Bange näherte er sich der im Parke wandelnden Konstanze und gestand ihr kniend seine Schuld. Die Prinzessin löste huldreich lächelnd eine Kette an der in Perlen und Diamanten gefaßt ein Stückchen des heiligen Kreuzes befestigt war, von ihrem Halse und hängte sie dem Knienden um.

Diese Szene hatte einer der Ritter belauscht, die von Heinrich im Kampfe besiegt worden. Voll Rachgier eilte er zum König und berichtete diesem den Vorgang so entstellt, daß Ludwig in höchsten Zorn geriet. Fruchtlos waren alle Beteuerungen des unschuldigen Paares; das Urteil des Königs lautete:

„In der neunten Morgenstunde des dritten Tages solle Heinrich der Sponheimer, Graf zu Ortenburg und Sonnenberg, im Burgzwinger waffenlos mit einem Löwen kämpfen. Unterliege er dem Ungetüm, so habe er seine Schuld mit Blut gebüßt und gesühnt. Trete er aber als Sieger aus dem Kampfe, so habe damit der gerechte Himmel seine Unschuld an den Tag gebracht.“ –

Festen Schrittes verließ Heinrich den Saal, wo Scheelsucht und Zorneshitze ein solches Urteil gesprochen. Er ging in die Herberge zurück, bestellte sein Haus und tat Botschaft an das liebe Kärntnerland, dem tapferen Greise Bernard und der vielgeliebten mütterlichen Kunigunde. Den Abend vor dem entscheidenden Morgen warf er sich in innigem Gebete zur Erde; da sah er im Traume, wie ihn die Himmelskönigin in strahlender Glorie zu sich erhob und ihn mit ihrem sternendurchwirkten blauen Mantel schützend umfing. Dankerfüllt erhob er sich vom Lager.

Am nächsten Morgen wies er das herkömmliche schwarze Gewand zurück, untersagte auch seinem Gefolge jegliches Zeichen der Trauer; er befahl vielmehr, ihn im besten Schmucke zu begleiten; er selbst hüllte seine Glieder in ein festliches Gewand, weiß wie frischer Schnee. Um die Schultern schlug er den weißen Mantel, gleich den Rittern des Tempels und Spitales von Jerusalem, doch ohne rotes oder schwarzes Kreuz; aber auf der Brust jenen heiligen Kreuzesteil an goldener Kette, den ihm Konstanze in der verhängnisvollen Stunde umgehängt.

Vom Münsterturm schlug die neunte Stunde; dann erklangen dreimal die Posaunen, hierauf ein kurzer Wirbel aus gedämpfter Trommel. Das weite Rund des Zwingers genügte der zahllos herbeigeströmten Menge nicht. Auf Mauern und Zinnen, auf Dächern und Türmen wogte es von Neugierigen. Finster saß der König da, umringt von den Großen seiner Krone. Unfern von ihm, von jedem Blick gemieden, standen Heinrichs Ankläger in schwarzangelaufender Rüstung und rotem Helmbusch, Schärpe und Gurt. Die Königin und die bleiche Konstanze saßen schwarz gekleidet und in dunkle Schleier gehüllt auf ihren erhöhten Plätzen.

Da flogen die Pforten des Zwingers rasselnd auf und der deutsche Jüngling trat ruhig und milde herein. Die Menge versank in plötzliches, allgemeines Schweigen. Nun öffnete sich an des Zwingers anderer Seite ein mächtiges Fallgitter. Wildes Brüllen hallte erschütternd und, Glut in den Augen, Grimm und Hunger in den Zügen, mit dem gewaltigen Schweife schlagend, trat der entsetzliche Löwe heraus. Er sieht langsam auf die Menge, hebt zornig die Vordertatze, erschaut Heinrichen und tritt an ihn mit gierigem Rachen.

Heinrich drückt rasch das heilige Kreuz an die Lippen, blickt nach oben, faßt des Löwen greuliche Pranke: - „Bei dem Gekreuzigten, dem Herrn des Himmels und der Erde, nieder zu meinen Füßen, du kecker Hund! Und zeuge, unvernünftige Kreatur, für meine Unschuld!“ – ruft er und wirft das Tier zu Boden. Der erschrockene Löwe kriecht zu seinen Füßen, wie ein Hündlein leckt er sie, wedelt und winselt und gehorcht Heinrich, der ihn an seine Höhle führt und befiehlt, das Fallgitter zu öffnen und hinter dem Leu wieder zu schließen.

Tausendstimmig jauchzte der Jubel durch die Lüfte. Ein Triumphzug, wie ihn blutige Siege nicht feiern, geleitete den Glücklichen zurück in den Königssaal. Hier trat der König, seine Gattin fest umschlingend und Constanze an seiner Rechten, feierlich vor und sprach, Heinrichs Hand ergreifend und sie mit der seiner Tochter vereinigend: „nimm sie, du bist ihrer würdig.“ Bei diesen Worten fühlte Heinrich plötzlich die Gewalt des Himmels über alle Versuchungen der Erde; sein Antlitz war so verklärt, daß er einem Boten aus der andern Welt glich. „Nur ihr gehöre ich,“ rief er, „die mir im Traum erschienen ist; die mich von dem grimmigen Löwen errettet und meine Unschuld so glorreich an den Tag gebracht hat.“

Kniend flehte er um den Segen des königlichen Paares. Am Abend des folgenden Tages trug er die weißschimmernde Kukulle des Zisterzienserordens in Morimond. Hier jedoch verweilte er nicht lange. Im Sprengel von Metz erhob sich ein neues Stift: Villars. Heinrich ward dessen Abt und dem ganzen Orden Vorbild und Stütze.

Sein Ohm Bernard und seine Tante Kunigunde vernahmen des teuren Neffen Geschick. Viktring*) ward dem Andenken an ihn gestiftet. Auf ihre Bitte sendete Heinrich mehrere seiner Ordensbrüder, im Glauben stark und edlen Geblüts. Er selbst führte am Ostermontag des Jahres 1142 die fromme Kolonie in ihr neues, ihm selbst so teures Vaterland. Von dem Siege Heinrichs im Löwenkampfe und zum Gedächtnisse eines früheren, wundersamen Sieges, den Bernard für Thiemo, den vertriebenen Erzbischof von Salzburg, erfochten hatte, wurde das neue Zisterzienserkloster das Siegeskloster (S. Maria de Victoria) genannt, aus dem später Viktring wurde.

*) Viktring liegt ungefähr eine Stunde von Klagenfurt entfernt, in südwestlicher Richtung von demselben.

Quelle: Kärntner Sagen; Franz Pehr; Verlag von Joh. Heyn in Klagenfurt; 1913

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