DIE BERGKNAPPEN VON OBER-ZEYRING

Es war an einem Sonntag im Hochsommer des Jahres 1158. An einem Waldsaume, auf einem Wege, der nach der Schenke von Ober-Zeyring in der Steiermark führte, schritten zwei Menschen, ein junger Mann in der Tracht der Bergknappen und ein Mädchen, über dessen anmutigem Gesicht ein Hauch von Seelenschmerz lag. Das Gesicht des jungen Mannes dagegen trug den Stempel von Leichtsinn und keckem Übermut zur Schau. Ringsum ruhte die Natur im Gottesfrieden — feierliche Stille herrschte — es war der Tag des Herrn.

„Jakob, du willst mich heiraten?“ fragte das Mädchen ernst.
„Und das recht bald, oder glaubst du, ein Zeyringer Bergknappe, der mit den Händen nur in Silber wühlt, kann ein Weib nicht ordentlich erhalten?“ meinte der Gefragte protzig.

„Das glaub‘ ich schon, aber kein Mensch auf Erden und kein Bergwerk der weiten Welt ist vor dem Unglück gefeit“, antwortete besonnen das Mädchen. „Ich sag‘ dir aber, ich will und kann dich nicht heiraten.“

Überrascht rief der Knappe „Was sagst du? Du willst, du kannst mich nicht heiraten? Nimm dein Wort zurück, Resi !“

„Nein und tausendmal nein, wenn du den wilden Kuno nicht aufgibst“, sprach das Mädchen traurig; „wenn ein solcher Freund dein Herz ganz und gar ausfüllt, dann hat ein armes Mädchen sowieso keinen Platz darinnen.“

„Was hast du gegen den Jäger?“

Warnend antwortete Resi: „Er ist dein Verführer. Du warst früher ein herzensguter Mensch, wenn auch immer etwas leichtsinnig. Kuno wußte deine schwache Seite zu erfassen und heute hängst du in seinen Krallen. Kuno ist es, der dich von der Seite deiner alten, kranken Mutter wegreißt und dich auch am Sonntag nach der Schenke zerrt; er ist es, der dir das Geld aus dem Sacke lockt, weil er als Jäger gegen einen Knappen vom Zeyringer Silberschacht nur ein Bettler ist. Früher hattest du Erspartes im Kasten, heute geht alles von der Hand in den Mund. Deine alte Mutter darbt im Stübchen, du aber prassest mit Kuno in der Schenke. Noch ist es Zeit, umzukehren, wenn du nur den Willen hast Jakob, guter Jakob, beim Andenken an deinen verstorbenen Vater, der als Obersteiger einen geachteten Ruf in der Welt hinterlassen hat und gewiß vom lieben Gott mit einem ‚Glück auf!‘ beim Hirmmelsschacht empfangen worden ist, kehre um, werde ein anderer, ein besserer Mensch, ich bitte und beschwöre dich darum bei allem, was dir heilig ist. Suche dein Glück an meiner Seite, die ich dir gewiß ein braves Weib sein möchte. Weiche dem Kuno aus, deinem Versucher, der dich in das Elend bringen wird für Zeit und Ewigkeit.“

„Amen“, sagte ein mit einer Armbrust ausgerüsteter Jägersmann, der aus einem Gebüsch heraustrat und sich sogleich an Jakob anschloß. „Ist die Fastenpredigt schon aus? Nun, freue dich, wenn die Dirne einmal dein Weib ist; die legt dir mit den Fäusten die Heiige Schrift aus.“

Der Knappe lachte übermütig bei dieser Spottrede des Jägers, in dem der Leser sicherlich schon den bösen Kuno erkannt hat. In der Tat gaben diesem der faltige Mantel, die rote, wallende Feder auf dem spitzen, grünen Hute, das erdfahle Gesicht mit dem Knebelbarte sowie die katzenartig lauernden, grauen Augen ein recht teuflisches Aussehen.

Zürnend erwiderte ihm Resi: „Wenn Jakob eine ehrliche, brave Hausfrau findet, dann kann er ‚Glück auf!‘ rufen, wenn er aber den sauberen Kuno als Freund an seiner Seite hat, dann kommt gewißlich das Grubenwasser der Not und des Verderbens noch über sein junges Leben und sein Grubenlicht wird auslöschen, weil ihm sein durstiger Gesellschafter das Öl aus der Lampe wegtrinkt.“

Nach diesen hastigen und zürnenden Worten eilte Resi einen Seitenweg entlang, der nach einem kleinen Häuschen fuhrte, in dem sie als Tochter einer armen Witwe lebte und ihre Mutter durch fleißige Handarbeit ernährte.

Hinter Resis Rücken schlugen die beiden Freunde eine helle Lache an. Dieser Spott kränkte sie aus dem Munde des Jägers nicht, aber Jakobs höhnische Stimme tat ihr recht weh, denn sie liebte ihn trotzdem noch, und seine Besserung und Bekehrung lag ihr am Herzen, wie eine Gewissenspflicht. Kuno freute sich heimlich, daß er von seinem Opfer den warnenden Schutzengel hatte verdrängen können. Die beiden Männer lenkten jetzt nach einem breiteren Wege ein, der zur Schenke führte. Sie gingen aber nicht in die dumpfe Stube, sondern schritten in den schattigen Garten, an den sich eine Kegelbahn anschloß. Diese war ein rechtes Stelldichein der Bergleute, wie überhaupt die ganze Schenke „Zur lustigen Knappenschaft“ in einem zweideutigen Rufe stand. Auf der Türe glänzte in Silberschrift der Bergmannsspruch „Glück auf!“ und die Knappenfahne mit silbernem Hammer und Fäustel leuchtete durch das Grün der Bäume. Eine recht lustige Gesellschaft erwies schon dem Schilde die Ehre, als Jakob mit seinem Kumpan eintrat. Ein donnerndes „Glück auf!“ empfing sie. Freilich zogen sich die meisten Knappen vor dem Jäger Kuno, den keiner recht kannte, dessen Herkunft niemand wußte, gerne scheu zurück.

Doch was kümmerte sich Kuno um die anderen? Er hatte ja sein Opfer, den Jakob, bereits in festen Krallen, der durfte ihm nimmer entwischen, am wenigsten sollte ihn Resi dem Trunke und der Zecherei abtrünnig machen.

„Kugel, Kegel und Wein her“, rief Jakob, einen Silberbarren auf den Tisch werfend. Der Wirt brachte das Verlangte, bald rollte die Kugel und die Kegel fielen. Als das Spiel eine Weile gedauert hatte und Barren um Barren auf dem Zahltisch glänzte, sagte Kuno unter einem leichten Anfiuge von Hohn:

„Mit eichenen Kugeln scheiben Holzknechte und Wilddiebe, ich glaubte, die Bergknappen von Ober-Zeyring rühren keine Hand an solche Waldware.“

„Die Silberkugel heraus“, rief rasch Jakob, dem der süß-feurige Jerusalemer Wein aus dem Luttenberger Gebirge — einen anderen durfte der Wirt auf Kunos Geheiß gar nicht auftischen — zu Kopfe stieg. Der Wirt brachte die Silberkugel, die in der sogenannten Knappenlad aufbewahrt und gar oft im Hochmute zum Kegelspiele verlangt wurde. Während die „lustige Knappenschaft“ zechte, johlte und tollte, hatte sich der Himmel mit schweren Wetterwolken umzogen. Während die silberne Kugel rollte, grollte der Donner, anfangs weiter und leiser, dann näher und stärker. Dann und wann blitzte es auf, der fahle Schein drang durch das Dickicht der Bäume und leuchtete von der Silberkugel grell in die Augen der Zecher.

„Mit Silberkugeln scheiben nur die Knappen von Ober-Zeyring“, meinte Kuno. „Ich habe aber in der weiten Welt draußen schon mit ganz anderen Kugeln scheiben gesehen, mit denen die ‚lustige Knappenschaft‘ da gewiß niemals in ihrer Zeit geschoben hat.“ Kuno warf spottende Blicke umher.

„Meinst du vielleicht marmorne? Mit diesen Kugeln scheiben bei uns nur die Steinbrecher“, fiel ihm ein Knappe in seinen Spott.

„Mit beinernen“, lachte der Jäger, kniff die Lippen zusammen und strich seinen Spitzbart. Leise erhob sich schon der Wind und wehte die Feder auf Kunos Hute wild hin und her. „Wenn ihr wollt, bringe ich euch eine solche.“ 

Und, schon war er fort.

„Her damit“, erbrauste es im Chore der übermütigen Knappen. „Wo nimmt der die beinernen Kugeln her?“

„Vielleicht sind sie gar aus Elfenbein?“ lachte Jakob.

Nach einer kleinen Weile betrat Kuno wieder die Kegelbahn, unter dem Mantel vier Totenköpfe bergend, die er auf den Erdboden warf.

Als die Knappen die grinsenden Schädel erblickten, konnten sich die meisten eines Gruselns nicht erwehren. Jakob war der erste, der seine Scheu überwand und rasch einen der Schädel zur Hand nahm. Kuno hatte seine Armbrust auf die Schulter genommen und war zu den Kegeln hinausgegangen. Einen lauernden, boshaften Blick warf er auf Jakob, sein Opfer, das er zu diesem Frevel verleitet hatte, das ihm ja zu allem willfährig war.

Aber neben dem Verführer war auch der Schutzengel Jakobs an der wüsten Stätte. Während sich dieser nämlich zum Schube an schickte und den Totenkopf hin und her wog, war ein junges Mädchen hereingestürzt, das sich beim Anblick des grausen Spiels händeringend zu des Mannes Füßen warf und, ihn umschlingend, anrief:

„Laß ab, Verruchter, von deinem frevelhaften Tun, das der Himmel sicher strafen muß an dir und der ganzen Knappenschaft.“

 „Vielleicht ist es gar der Schädel. seines Vaters“, lachte einer der wilden Gesellen. „Wenn der selige Obersteiger Norbert vom Himmel niederschaut, dann kann er sich nur freuen, daß sein Jakob ein lustiger Zeyringer Knappe geworden ist, der keine Furcht im Herzen und keinerlei Scheu im Leibe tragt.“

Als wollte er die Worte seines Kameraden zur Wahrheit werden lassen, tat Jakob wirklich den grausen Schub. Im selben Augenblicke wurde es feuerhell zwischen den Bäumen und ein Blitzstrahl fuhr hernieder, mitten in die Kegel hinein, die wie Spreu nach allen Richtungen auseinanderflogen.

„Alle neun“., schrie Kuno und seine Stimme wurde von einem furchtbaren Donnerschlag übertönt. Entsetzt sprangen die Knappen auf, einer war betäubt zu Boden gestürzt, im Falle den Tisch mit den Silberbarren umstoßend.

Dieses Ereignis hatte Jakob doch erbeben gemacht. Er hob die halb ohnmächtige Resi vom Boden auf und verließ mit ihr, nachdem sie wieder mehr zu sich gekommen, den Schauplatz seines grausen Kegelspiels. Er warf noch einen Blick auf Kuno, der ruhig an einem Pfeiler lehnte, während die Feuerfunken des vom Blitz entzündeten Gebälks ihn umtobten — ein wahrhafter Satan in der Höllenglut.

*

Im Silberbergwerk von Ober-Zeyring war alles in vollster Tätigkeit. Gegen 1500 Knappen, Hauer und Steiger waren aus dem Lichte des hellen Tages hinabgestiegen in die Tiefe, um dort nach dem glänzenden Metalle zu schürfen und zu wühlen; in den dunklen Schacht, in dem kein Blümlein blüht, den kein lustiges Vöglein durchfliegt; in das dumpfe Gruftgewölbe, aus dessen Zimmerung die Tropfen schmutzigen Gewässers heraussickern, in dessen Grunde der garstige Grubenmolch sein trauriges Dasein dahinschleicht. Auch Jakob war hinabgestiegen aus dem heiteren Leben in die Nacht der Tiefe, wo die Gefahr in hundert Gestalten auf den Knappen lauert. Lange schon hatte er mit Hammer und Meißel gearbeitet und Kristalle gediegenen Silbers und das silberhältige Hornerz aus dem Gestein gelöst. Während er so darauf los arbeitete, daß die Funken stoben, dachte er an das verruchte Kegelspiel am Sonntag, an seinen Verführer Kuno, dem er von jetzt ab ausweichen wollte, an Resi, die er als Weib heimzuführen begehrte, und wie er in Zukunft ein rechtschaffener Mensch werden wollte. Dann ruhte er von der Arbeit aus, leiser Schlummer uberfiel ihn - Kobolde, Berggeister urntanzten ihn, in weiter Ferne glaubte er Musik zu hören, dann wieder verworrenen Lärm. Plötzlich erwachte er, denn angstvolles Geschrei durchdrang das ganze Bergwerk. Es waren Rufe der Todesangst, die aber übertönt wurden von dem Brausen der Grubengewässer, die donnernd wie die Sintflut in den Schacht eingebrochen waren.

Schnell sprang Jakob nach der Steigleiter, auf der untersten Stufe wurde er aber von einem herabfallenden Felsbrocken so heftig auf die Schläfe getroffen, daß er bewußtlos zusammensank.

Das furchtbare Unglück hat 1400 Bergleuten das Leben gekostet, die Knappenkapelle sank mit dem Schacht in die Tiefe. Von allen Seiten stürzten Mütter, Weiber und Kinder herbei, um an dem Schachte unter lautem Wehklagen zum Gebet zusammenzusinken. Wohl wurden einige der Knappen noch lebend zu Tage geschafft, auch Jakob war darunter. Sie legten ihn auf den blumigen Wiesengrund nieder. Als die frische Luft der Berge seine brennende Stirn umwehte, öffnete er seine Augen. Ein Mädchen beugte sich über ihn, strich ihm mit zarter Hand das blutgetränkte Haar aus der Stirne, ergriff seine bleiche Hand und netzte sie mit Tränen.

„Jakob, muß ich dich so wiederfinden!“ klagte das Mädchen.

„Resi, du bist es? Der Himmel hat mich und die anderen Knappen gezüchtigt — für unseren Frevel am Sonntag, für unseren Übermut seit vielen Jahren“, sprach Jakob mit leiser Stimme. „Der Segen des Zeyringer Schachtes ist dahin. Wir haben gelebt, heute gelitten und gebüßt. Der — dort oben — möge uns verzeihen. Lebe wohl — Resi — Glück auf!“

Ein leiser Seufzer aus weher Brust und Jakob war verschieden.

Ein Strahl der Abendsonne fiel auf das bleiche Antlitz, dessen Lippen sanft lächelten. Es war ein Bild der Versöhnung. Resi hatte nicht bemerkt, daß im gleichen Augenblicke der wilde Kuno hinter ihrem Rücken wegschlich, der einen schadenfrohen Blick in das Gesicht des Verunglückten geworfen hatte. Er ward von dieser Zeit an im verödeten Tale nicht mehr gesehen. Nach vielen Jahren konnte man gar häufig ein altes, gebeugtes Mütterlein nach dem versunkenen Schachte von Ober-Zeyring wanken sehen, das dort die Hände faltete und lange betete. Niemand störte die Alte, niemand spottete der Armen. Es war die Resi, die für alle ein „Vaterunser“ sprach, für einen aber flehte sie besonders um die Gnade des Herrn, für ihren Jakob, der frevelnd gelebt hatte und reuig gestorben war.

Quelle: Im Reich der Sage; Otto Wutzel; Oberösterreichischer Landesverlag Linz;
4. Auflage 1958

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