HERZOG ERNST

Es regierte im Herzogtum Bayern und Österreich vor Zeiten ein frommer Fürst mit Namen Herzog Ernst, der sein väterliches Erbe friedsam beisammen hielt. Er ehelichte eine hochgeborene Jungfrau, Adelheid genannt, des Königs Lotharius Tochter, die ihm einen überaus schönen Sohn gebar, dem er in der heiligen Taufe seinen eigenen Namen Ernst beilegte. Gottes Schickung wollte es aber, daß dem Kinde bald der Vater starb. Die einzige Freude, die der armen Mutter blieb, war der kleine Sohn, der bald in vielen Sprachen unterrichtet, in Latein, Griechisch und Welsch wohl bewandert war und mit allen Tugenden aufwuchs. Das Hofgesinde gehorchte ihm gerne, und sein ganzes Land, das er von seinem Vater ererbt hatte, war ihm in Liebe untertänig. Als er anfing, Ritterspiel zu treiben, erwarb er sich auch bei den Rittern und Grafen gutes Lob; insonderheit wurde ein Graf, der Wetzel hieß, sein treuester Freund.
Die Herren des Landes lagen nun dem jungen Herzog unaufhörlich in den Ohren und baten ihn, er möge seiner Mutter doch raten, wieder einen Ehebund zu schließen, damit ein kräftiger Fürst das Land regiere. Auch an die Herzogin selbst richteten sie ihr Begehren, die aber alle ihre Bitten hartnäckig abschlug.

Es herrschte zu denselbigen Zeiten im Römischen Reich mit ganzer Gewalt Kaiser Otto, der erste dieses Namens. Er unterwarf sich viele Länder, war ein Freund der Gerechtigkeit und hieß darum des Landes Vater. Als er noch in der Blüte seiner Jugend stand, wurde ihm eine überaus schöne Hausfrau angetraut, mit Namen Ottogeba, die voll Zucht und Tugend war und aus dem erlauchten Hause der Könige von England stammte. Doch nur kurze Zeit durfte Kaiser Otto mit ihr in süßem Glück leben, da kam die bittere Stunde, in der Gott sie aus diesem Erdenleben forderte. Als die fromme Kaiserin nach fürstlichem Brauche feierlich zur Erde bestattet war, lebte der Kaiser Otto einige Zeit in Trauer und Einsamkeit. Dann aber betrachtete er in seinem Gemüte die Worte des heiligen Apostels Petrus, daß es besser wäre, sich ehrlich zu vermählen, als allerlei Anfechtung zu erleiden, forderte seine Räte zusammen und trug ihnen seine Sorgen vor. In langer Ratssitzung kamen sie zu dem Beschluß, einen Boten an die Herzogin Adelheid zu entsenden und sie zu befragen, ob sie des Kaisers zweite Hausfrau werden wolle.

Die Herzogin erschrak aus tiefstem Herzensgrunde über diese kaiserliche Botschaft, denn sie hatte lange Zeit ihren Witwenstand tugendhaft gehalten und sich vorgesetzt, darin zu verharren. Darum berief sie zur Stund‘ die Edlen ihres Landes, legte ihnen den hohen Antrag vor und bat sie, dem Kaiser eine höfliche Antwort zu geben. Dies versprachen die Herren und gingen alsogleich darüber zu Rat; und alle zusammen waren für die Einwilligung in die Heirat. Sie baten daher den jungen Ernst und den Grafen Wetzel, seinen Freund, der Herzogin anzuzeigen, was der Rat ihrer Edlen beschlossen habe. Die Herzogin war sehr betrübt und redete also zu ihrem Sohn: „Mein lieber Ernst! Ich fürchte, wenn ich mit dem Kaiser mich vermähle, so dürfte zwischen ihm und dir bald Zwietracht und Uneinigkeit entstehen, wodurch ich in großen Jammer käme. Nie noch haben Stiefvater und Stiefsohn einander vertragen.“ Dawider sprach aber der Herzog: „Herzallerliebste Frau Mutter, eine so sorgliche Furcht sollte euch nicht von der Vereinigung mit dem hohen Fürsten abhalten. Ich selbst will mich mit Hilfe des barmherzigen Gottes vor meinem Kaiser beugen und meinen neuen Vater lieben wie ein rechter Sohn.“

Von einem so männlichen Geiste fühlte sich die Herzogin gestärkt. Sie überdachte nochmals alle Worte, die ihr Sohn gesprochen, in ihrem Herzen und gab endlich dem römischen Kaiser durch seinen Boten ihre Willfährigkeit bekannt, bestimmte auch Zeit und Tag der Vermählung. Der Kaiser ward über die Maßen froh, als sein Bote mit so fröhlicher Nachricht wiederkehrte. Sofort versammelte er alle seine Fürsten und Lehensherren zu einem gemeinsamen Hofgelage, dann machte er sich mit großer Macht auf und ritt nach Bayern, wo die Herzogin wohnte. Die Hochzeit feierten sie mit aller Pracht und Herrlichkeit in der alten Bischofsstadt Mainz. Die Ehe wurde überaus glücklich, und am Anfang liebten auch Sohn und Stiefvater einander aus ganzem Herzen.

Aber — wie es der Böse immer fügt — dieses friedliche Dasein währte nicht lange. Es lebte einer am Hofe, Pfalzgraf Heinrich genannt, ein ungetreuer, falscher Mann, der die Einigkeit zwischen dem Kaiser und dem jungen Herzog nicht mit ansehen konnte. Oft überlegte er, wie er einen bösen Samen säen könnte, daß der junge Fürst des Vaters Huld verliere; endlich ersann er eine gar trügerische List: Er verklagte Ernst fälschlich bei seinem Stiefvater, dem Kaiser, und sprach zu diesem, in arger Bosheit: „Oh, wie ein getreuer Vogt des Kaiserreiches seid Ihr, allergnädigster Herr! Aber ich habe einige wunderliche, ja boshafte Reden vor Eure kaiserliche Majestät zu bringen, von Eurem Sohne, Herzog Ernst, den Ihr so lieb habt und den Ihr vor allen anderen Räten ehrt. Dieser Fürst trachtet früh und spät, Eurem alten Leben ein Ende zu machen, um das ganze Reich allein zu besitzen. Darum sehet Euch vor, daß Ihr ihn abwehret, ehe er seinem bösen, begierigen Herzen nachgibt, sonst ist Euer Leben verloren!“

Da der Kaiser solche Worte von Heinrich, dem Pfalzgrafen, vernommen hatte, wurde er äußerst zornig und antwortete: „Was sprichst du, Heinrich? Von wem kommt dir solche Nachricht? Fürwahr, wenn «mir das ein anderer sagte, ich wollte ihm den Kopf abhauen lassen! Und sollte ich erfahren, daß du nur aus Haß gegen meinen Sohn so redest, so soll auch dir dies Los widerfahren. Ich habe noch nie Unrechtes von Herzog Ernst gesehen oder gehört. Er schützt mich in allen meinen Nöten, worin es immer sein mag, mit Kriegen oder Verträgen; darum kann ich deine Worte nimmer glauben. Doch sage mir, woher du sie vernommen hast, damit ich der Sache auf den rechten Grund komme.“ Da erwiderte Pfalzgraf Heinrich: „Das kann ich Eurer Majestät wohl sagen, wenn Ihr es so fordert; denn nicht von einem allein habe ich die Botschaft gehört, sondern von zweien und dreien. Dazu habe ich auch an ihm selbst gemerkt, daß er auf Bübereien sinnt. Darum, gnädigster Herr und Kaiser, wollte ich Euch treulich vor solcher Gefahr gewarnt haben.“

Da versank der Kaiser in tiefe Trauer und klagte zu dem Verleumder: „Oh, mein lieber Heinrich, wenn dem also ist, wie du mir von meinem Sohne angezeigt hast, so bitte ich dich weiter um guten Rat, wie ich ihn aus dem Lande vertreiben kann, ehe er seinen bösen Plan zu Ende führt.“ — „Das will ich meinem kaiserlichen Herrn wohl anzeigen“, erwiderte der Falsche, „während Euer Sohn gen Regensburg reitet, sammelt Ihr insgeheim und ohne der Kaiserin Wissen ein starkes Kriegsvolk, schicket es ihm nach und lasset ihn aus dem Lande jagen.“ Der Kaiser tat wirklich, wie ihm geraten wurde. Er brachte durch Herrn Heinrich in kurzer Zeit einen großen Haufen zusammen, an dessen Spitze der Pfalzgraf gestellt wurde. Mit dieser wilden Heerschar zog der meineidige Ritter gegen den frommen Herzog, verwüstete Österreich, schlug viel unschuldiges Volk zu Tode, hauste grimmig mit Sengen und Brennen und zog dann nach dem Bistum Würzburg, wo er gleichen Schaden verübte. Auch schickte er heimlich Kriegsvolk gen Bamberg, das die Stadt in bittere Not brachte. Als Herzog Ernst von diesen Greueln Botschaft erhielt, erschrak er bitterlich, ging zu seinem Freunde Wetzel und erzählte ihm seine Not unter heißen Tranen „0 allmächtiger Gott“, rief er, „welche Verleumdung mag zu meines Vaters Ohren gekommen sein, daß er mich also verderben will?“ Nach langem Ratschluß blieb dem jungen Fürsten keine andere Wahl, als sein bedrohtes Land mit der Waffe in der Faust zu schützen. Rasch sammelte er seine Ritter, so gut er in der Eile vermochte, wohl an viertausend streitbare Männer, und zog mit seinem Volk Bamberg zu Hilfe. Wie das Heinrich, der Pfalzgraf, vernahm, ließ er in der Stadt eine schwache Besatzung zurück und ritt mit seiner Hauptmacht dem Herzog Ernst entgegen. Das Ziehen währte nicht lange, da kamen sie zuhauf aneinander und schlugen auf beiden Seiten viel Streiter tot. Zuletzt behielt Herzog Ernst das Feld als Sieger, und der Pfalzgraf entkam nur mit wenigen Rittern.

Der böse Mann ritt geradewegs zum Kaiser und meldete ihm, wie es gekommen sei, daß ihm Herzog Ernst fast all sein Volk erschlagen habe. Der Kaiser vernahm die ganze Botschaft mit steigendem Grimm und rief zuletzt aus: „Das soll nicht ungerächt bleiben! Von aller seiner Habe soll der Verräter verjagt werden!“ Jetzt scharte er selbst viel Kriegsvolk um sich und eroberte eine Stadt nach der anderen. Wie der junge Fürst den neuerlichen Einfall in sein Land ersah, wurde er hart bekümmert, schickte einen Boten zu seinem Stiefvater und ließ ihn bitten, er möchte doch sein Land nicht also verwüsten. Er habe seiner Majestät nie etwas Böses zugefügt, weder mit Worten noch mit Taten; er fühle sich nirgends schuldig und begreife deshalb auch nicht, warum ihn der Kaiser mit Krieg heimsuche. Der Bote brachte dem Herrscher den Brief im Beisein der Kaiserin, die ihm heimlich auftrug, vor seiner Heimkehr unbedingt ihr Zelt aufzusuchen. Der Kaiser las den Brief durch und durch; er ging hin und wider im Saal mit zornigem Sinn, wie ein grimmiger Löwe. Die Kaiserin aber merkte wohl, daß seine Erregung ihrem Sohne galt, näherte sich ihrem erzürnten Gemahl und sprach zu ihm: „Allergnädigster Herr, ich bitte Euch um Gottes Barmherzigkeit willen, beharret nicht in dem Zorne, den Ihr gegen meinen Sohn traget!“ Rasch erwiderte ihr der Kaiser: „Liebe Frau, ich lasse mich nicht überreden. Darum entfernet Euch nur und gehet Euren Geschäften nach. Die Übeltat, die er an mir verübt hat, ist zu groß, als daß ich sie vergessen könnte.“ Doch die Kaiserin jammerte nur noch kläglicher: „So bitte ich um Gottes willen, Ihr wollet wenigstens eine Versammlung und Zusammenkunft beider Teile versuchen, damit man auf den sicheren Grund der Anschuldigungen gegen meinen Sohn kommen kann.“

Als Adelheid erkannte, daß bei dem Kaiser keine Barmherzigkeit Lt gewinnen sei, ging sie mit betrübtem Herzen in ihre Kammer und schrie im Gebete zu Gott. Da war es, als käme eine Stimme vom Himmel, die ihr zusprach „An all diesen Dingen ist der Pfalzgraf schuldig.“ Wie die Frau die Stimme vernommen hatte, bat sie weiter im Gebete: „O allmächtiger Gott, wie ist dies möglich? Was hat den Pfalzgrafen gereizt, meinen lieben Sohn bei meinem Herrn so zu verleumden? O Gott, erbarme dich meiner!“ In diesem Elend schickte sie einen Diener nach dem Boten ihres Sohnes Ernst und befahl ihm, diesen über alles zu unterrichten, wie es um ihn bei dem Kaiser stünde; insonderheit gab sie dem Boten auf, daß er ihrem Sohne mitteilen solle, all das Unglück habe der Pfalzgraf Heinrich angerichtet, er allein sei der Urheber der argen Verräterei. Mit diesem Bescheid ritt der Bote in Eile gen Regensburg und hinterbrachte die Nachricht getreulich seinem Herrn.

Seitdem war der junge Furst von schwermutigen Gedanken gequält und wußte nicht, wie er wieder Gnade bei seinem Vater finden könnte. Endlich wandte er sich an seinen Freund Wetzel und bat ihn, er möge ihn auf einem einsamen Ritt an des Kaisers Hof begleiten. Der Kaiser hielt gerade einen Reichstag zu Speyer. Diese Gelegenheit nahm Herzog Ernst wahr und zog mit seinem Freunde und einem Diener gegen Speyer. Dort stiegen sie in des Kaisers Hof von ihren Rossen, ließen den Diener die Pferde halten und gingen hinauf in den Palast. Da fanden sie den Kaiser mit dem Pfalzgrafen ganz allein in der Kammer sitzen, und Herzog Ernst trat rasch auf Heinrich hin mit den Worten: „Du meineidiger, treuloser Ritter, warum verleumdest du mich so bei meinem Vater?“ Mit wilder Gebärde zog er dabei sein Schwert und durchstach in wildem Zorne seinen Feind.  
Als der Kaiser dies sah, fürchtete er sich vor seinem Sohne und sprang wohl vier Klafter tief hinab in eine Kapelle, deren Wölbung an die Kammer grenzte, wo sie standen. Herzog Ernst, wie er bemerkte, daß sein Vater entronnen war und der Pfalzgraf tot zu seinen Fußen lag, lief mit seinem Gesellen Wetzel die Treppe eilends hinab zu den Rossen. In ängstlicher Flucht ritten sie durch die Stadt und nahmen ihren Weg einem versteckten Orte zu.

Der Kaiser blieb eine gute Weile in der Kapelle und zitterte in großer Furcht. Erst als er kein Getümmel mehr ober sich hörte, kam er aus seinem Versteck und verkündete seinen Mannen, welch unerhörte Untat geschehen sei. Auf die schreckliche Nachricht von dem unsühnbaren Morde entstand in der ganzen Stadt ein Aufruhr. Reiter wurden in alle Straßen geschickt, mit dem Befehl, Herzog Ernst und seinen Gesellen zu erschlagen, wo sie die Flüchtenden fänden. Aber Gott, wiewohl er dem jungen Fürsten den Mord nicht verzieh, nahm die Verfolgten doch in seinen Schutz und Schirm und führte sie eine sichere StraBe, so daß sie von den Häschern nicht ereilt werden konnten. Die Reiter und Knechte des Kaisers mußten unverrichteter Dinge zurückkehren.

Inzwischen war der Leichnam des Pfalzgrafen mit großer Feierichkeit begraben worden, dann setzte sich der Kaiser mit seinen Fürsten und Herren zu ernstem Rate zusammen, und es wurde beschlossen, Herzog Ernst, den Störer des Reichsfriedens, aus seinem Lande ganz und gar zu vertreiben. Auch versicherte der Kaiser, daß er ihn nimmermehr in Gnaden aufnehmen wolle, da er ihm nach dieser schweren Missetat von ganzem Herzen gram geworden sei. Er sammelte daher ein Heer von zwölftausend Mann und ritt selbst gegen seinen Sohn zu Feld. Viel Leid mußte damals das Volk zu Österreich und Bayern erdulden. Es liebte seinen jungen Herrn, wollte die Treue halten und der kaiserlichen Schar widerstehen. Zunächst mußte Regensburg, die stolze Hauptstadt des Bayernlandes, des Kaisers Ingrimm spüren. Darnach nahm Otto die übrigen festen Plätze an Donau und Lech mit stürmender Hand. Herzog Ernst wehrte sich gar männiglich, doch war die Zahl seiner Streiter zu gering, die Übermacht der Feinde zu groß. Als er zuletzt mit blutendem Herzen erkennen mußte, daß jeder weitere Kampf sinnlos sei, warf er sich mit seinem Gesellen, dem Grafen Wetzel, und einiger weniger Ritterschaft in eine starke Veste. Dort schickte er sich an, sein armes Land zu verlassen. Fünfzig seiner allergetreuesten Gefolgsleute rief er zusammen und sprach zu ihnen: „Liebe Herren, ich bitte Euch aus tiefstem Herzen, mir einen Zug nach dem Heiligen Grab vollbringen zu helfen. Ihr sehet ja meines Vaters wilden Zorn; ich habe kein Schloß und keine Stadt mehr, darin ich sicher wäre; ich bin ganz elend, darum will ich außer Landes gehen. Vielleicht legt sich indessen des Kaisers Grimm und besinnt er sich eines anderen. Meinethalben soll aber kein unschuldiges Blut mehr fließen.“ Den Rittern gefiel die Rede ihres jungen Fürsten, sie gelobten mit Mund und Hand, ihm ewiglich getreu zu bleiben, wofür er ihnen sehr dankbar war. Er sorgte sogleich, daß ihnen ganz neue Rüstungen und Waffen verfertigt wurden, damit sie mit allem, was zu einer weiten Reise notig wäre, wohl versehen wurden.

Auch die Kaiserin erfuhr, daß ihr armer Sohn aus Deutschland hinwegziehen wolle. Sie schickte ihm daher ohne Wissen ihres Gemahls, ganz im geheimen, hundert Mark Silbers, dazu viele andere kostbare Kleinode und entbot ihm tausend gute Wunsche. Diesen Schatz seiner Mutter teilte der Fürst sogleich unter den fünfzig Rittern aus und besoldete sie, damit sie für ihre Treue auch belohnt wären. Das erste Ziel ihrer traurigen Fahrt aus der Heimat in die unbekannte Ferne war Ungarn. Alldort wurden sie gut empfangen von dem Könige der Magyaren und blieben acht Tage lang als seine Gäste. Darnach gab der fremde Fürst dem Herzog und seiner löblichen Ritterschaft etliche Boten mit, die ihnen den rechten Weg durch den Wald nach der Bulgarey weisen konnten. Als sie glücklich durch die Wildnis hindurch waren, schickten sie die ungarischen Wegweiser wieder zurück in ihr Land, beschenkten sie reichlich und trugen ihnen auf, dem König nochmals ihren großen Dank zu vermelden.

Nach vielen Wochen scharfen Rittes kamen sie in das Kaiserreich der Griechen und nahmen den nächsten Weg auf Konstantinopel zu. Auch dort empfing sie der oströmische Kaiser gar schön und tat ihnen große Ehre an. Besonders fühlte er eine ehrliche Liebe für Herzog Ernst, weil dieser sich gegen seinen Vater so mutig zur Wehr gestellt hatte. An diesem Hof blieb der junge Fürst mit seiner Gesellschaft wohl drei Wochen lang, bis daß ein großes Schiff zur Seereise in das Heilige Land gerüstet war. Der Kaiser ließ es mit allen Lebensbedürfnissen wohl versehen und gab seinem Gast die besten Schiffsleute, die in seinem Reiche waren. Er befahl seinen Schiffern, die Deutschen mit allem Fleiße zu fahren, damit sie kein Schiffbruch erleiden müßten. Herzog Ernst segnete den oströmischen Kaiser für seine große Milde und Gnade und fuhr in Gottes Namen aufs offene Meer hinaus. Griechische Pilger begleiteten ihn mit zwölf Schiffen. Auch sie suchten den Weg zum Heiligen Grab in Jerusalem. Sechs Wochen waren sie mit gutem Winde gefahren. Da erhob sich in einer Nacht ein starkes Ungewitter auf dem Wasser, so daß die Fahrzeuge große Not von den hohen Wellen litten. Der Sturmwind war so heftig, daß die zwölf griechischen Pilgerschiffe von den grausamen Stößen des Orkans allesamt entzweigebrochen wurden und in den Wellen versanken. Sie waren nicht so wohlgebaut wie des Herzogs Kahn.

Als die Deutschen ihre Begleiter jämmerlich ertrinken sahen, weinten sie bitterlich und baten Gott, er möge doch ihnen selbst gnädig und barmherzig sein. Die Schiffsleute wußten nicht mehr, in welcher Gegend oder in welcher Landesnähe sie sich befänden, auch ging langsam der Vorrat zu Ende, denn sie waren schon vierzig Tage auf dem Meere gefahren, ohne anderes zu sehen als Himmel und Wasser. In dieser großen Not flehten sie inbrünstig zu Gott, daß er sie bald einem gastlichen Lande zuführen wolle. Endlich erblickten sie eine Küste, steuerten mutig darauf zu und erreichten in kurzer Zeit das rettende Land. Sobald sie die Schiffe verlassen hatten, bestiegen sie auch schon ihre Rosse, um auf dieser fremden Erde Kundschaft zu holen, wo sie wären, wer hier wohne und wie die Menschen hier ihnen gesinnt sein würden. Sie ließen das Schiff am Strande unter Bewachung einiger Schiffsleute zurück, versahen sich mit Waffen und Rüstung wohl und traten die Erkundung an. Bald konnten sie von ferne eine bedeutende Stadt ersehen, ritten aber nicht in größere Nähe. Die Stadt war sehr schön gebaut, war von einer hohen, dicken Mauer mit einem breiten Wassergraben umfangen, zeigte gewaltige Basteien und einen mächtigen Wall. Nachdem sie lange beobachtend hin- und hergeritten waren, beschlossen sie, vorerst zu ihrem Schiffe zürückzukehren, um sich an den letzten Vorräten für die kommenden Abenteuer zu stärken. Nach dem Essen legten sie sich wieder ihre Rüstungen an, und Ernst gab seinem getreuen Wetzel die Fahne, auf die ein goldenes Kruzifix mit dem Spruch „Gottes Wort bleibt ewiglich stehen“, gestickt war.
Die Völker, die in diesem Lande wohnten, hießen die Agrippiner. Ihr König war eben mit seinen Gefolgsleuten ausgezogen, da er gehört hatte, daß des indischen Kaisers Tochter durch sein Reich ziehen werde - sie war mit einem fremden Fürsten vermählt worden. Dieser Braut wollten sie die Straße verlegen, und als der Zug mit der Jungfrau, den feigen Überfall nicht ahnend, des Weges kam, erschlugen sie alle Begleiter und nahmen räuberisch das Fräulein mit sich. Gerade in dieser Stunde näherte sich Herzog Ernst abermals mit seiner Ritterschaft der Stadt.

Kein Mensch war innerhalb der Mauern zu sehen. Ausgestorben lagen die Straßen. Die deutschen Ritter zogen lange hin und her in den Gassen, gelangten endlich vor ein schönes Schloß, stiegen von ihren Rossen, gingen hinein und kamen bald in einen hohen Saal. Da fanden sie eine reich zugerüstete Tafel, die mit Essen und Trinken wohl versehen war, als ob Hochzeit gehalten werden sollte. Hungrig, stürzte sich die schiffbrüchige Schar auf die leckeren Speisen und aß und trank sich endlich einmal wieder satt. Darauf befahl Herzog Ernst, man solle die restlichen Lebensmittel auf das Schiff tragen. Die Diener schleppten nun schwere Packen von Mehl, Fett und Fleisch zum Strande, so daß sie wohl für ein halbes Jahr versorgt waren. Erst als diese Arbeit vollbracht ward, ging Herzog Ernst mit dem Grafen Wetzel im Schloß umher. Sie betrachteten mit steigendem Staunen alle Gebäude, die von edelsten Steinen aufgerichtet waren und eine unermeßliche Pracht zeigten. Die beiden Ritter kamen aus dem Verwundern nicht heraus. Als die Nacht einfiel, kehrten sie zu ihrem Schiff zurück. Doch gleich nach Tagesanbruch betraten sie wieder die Stadt, gingen nochmals durch die Straßen und besahen manchen schönen Bau, über dessen Herrlicheit sie sich nicht genug verwundern konnten. Im Palast fanden sie eine Kammer, in der zwei prächtige Betten, mit Decken von Goldstoff bespannt, hergerichtet standen; auch die Bettgestelle waren von lauterem Golde. Mitten in der Kammer befand sich ein Tisch, den ein köstlicher Teppich zudeckte, auf diesem wieder hatte irgend jemand die lieblichsten Gerichte aufgestellt. Zunächst an diese Kammer stieß ein kleiner Saal und an diesen ein Garten mit einem gar schönen Brunnen, dessen Wasser in zwei goldene Tröge sprang.

Da sprach Herzog Ernst: „Lieber Freund Wetzel, wir wollen uns ausziehen und baden.“ Das taten sie auch und wuschen sich zum besten. Nach dem Bade gingen sie in die Kammer zurück, legten sich in die zwei köstlichen Betten und ließen sich den Schlaf eine gute Zeit behagen. Von dem Schlafe erwacht, sah Graf Wetzel plötzlich einen starken Heerhaufen heranziehen. Wie waren aber diese Krieger gestaltet? Von unten bis an den Hals zeigten sie ein menschliches Aussehen, an Stelle der Köpfe trugen sie aber häßliche und abscheuliche Kranichhälse. „Lieber Herr“, rüttelte Graf Wetzel seinen Freund Ernst wach, „schauet auf dieses ungewöhnliche Volk, das dort zur Stadt zieht!“ — „Was sollen wir beginnen?“, fragte Ernst dawider. „Ich denke, wir verbergen uns, damit wir erkennen, was diese Scheusale anfangen.“ So versteckten sich die beiden Helden hinter der Türe in einem Winkel, um die einziehenden Agrippiner zu belauschen.

Diese betraten in feierlichem Zuge die Stadt und begleiteten ihren König zum Schloß, in dem die Helden auf der Lauer lagen. Der Kranichkönig führte die geraubte Jungfrau mit sich, die von reizender Schönheit war. Traurig schritt sie neben den mißgestalteten Männern, die sie gefangenhielten. Diese setzten sich im Schloß fröhlich mit ihrem Herrscher zu Tische und ergötzten sich an einem reichen Siegesmahl. Bald merkten sie, daß mehrere der zugerichteten Speisen schon fehlten oder angebissen waren. Vergebens rieten sie umher, wie dies geschehen sein konnte. Da sie aber keinen Verdacht schöpften, aßen und tranken sie sich unbekümmert voll und fingen übermütig an, zu schnattern und zu singen, auch ertönte unter ihnen mancherlei Saitenspiel, begleitet von Tänzen, Springern und Gauklern, wie bei einem ritterlichen Feste es dazumal der Brauch war. Der König saß neben der schönen Jungfrau und bot ihr öfters seinen Schnabel zum Kusse. Doch das arme Fräulein wich immer entsetzensvoll zurück und war voller Trauer. Kummervoll dachte sie hei sich: „0 allmächtiger Gott, wäre ich doch weit weg von diesen fürchterlichen Geschöpfen! Im Wald, bei wilden Tieren, würde ich mich nicht so fürchten wje hier.“

Solche Trübseligkeit der Jungfrau sahen die beiden Herren hinter der Türe in ihrem Winkel und sprachen leise zueinander: „Wie können wir die Arme erretten?“ — „Ich will“, gelobte Herzog Ernst, „mein Leben daran setzen und die schöne Maid befreien!“ Sie wußten nur nicht sogleich, wie sie die Tat beginnen könnten.

Die Mahlzeit der Agrippiner hatte schon lange gedauert, und die bösen Geschöpfe trieben ein lautes Geschnatter. Endlich kam die Zeit, daß jeder von ihnen nach Hause gehen mußte. „Mein liebster Freund“, flüsterte Ernst seinem Gesellen zu, „wie können wir jetzt die Jungfrau an uns reißen? Ich denke, wir springen hervor und stechen den König tot. In der Verwirrung müssen wir entkommen.“ — „Nein“, entgegnete der besonnene Graf, „wir wollen genau achtgeben, wenn der König zu
Bette geht, dann rauben wir ihm die Maid“ Dieser Rat gefiel dem Herzog.

Das Gelage der Agrippiner fand inzwischen sein Ende. Das schnablichte Hofgesinde war trunken und schnalzte wie Enten. Der König torkelte in die schon geschmückte Kammer, die allerorten mit Gold verziert war und in der die Helden schon geschlafen hatten. Von dort schickte er zwei Diener ab, die Jungfrau zu holen. Als diese die arme Gefangene tatsachlich zu ihres Herrn Schlafgemach schleppten, sprangen Ernst und Wetzel aus ihrem Versteck hervor und schlugen dem einen der Diener den Kopf ab; der andere entlief mit lautem, jämmerlichem Geschrei: „Die Inder sind da und wollen die Jungfrau wieder holen.“ Wild schnalzte der Kranichherrscher auf, sprang aus dem Bette und lief dem Getümmel zu. In wilder Hast stach er die Jungfrau mit seinem langen Schnabel in beide Seiten, so daß ihr Blut in Bächen aus den Wunden floß und sie ermattet zur Erde fiel. Die Helden wurden davon grimmig wie Löwen. Herzog Ernst sprang den König an und durchbohrte ihn mit seinem Schwerte, Wetzel wollte die Maid mit sich führen. Inzwischen waren aber viele Agrippiner auf das Geschrei in das Schloß zurückgeeilt und umringten die Helden, daß sie sich ihrer kaum erwehren konnten. Nur in schwerem Kampfe trieben sie die Angreifer zur Kammer hinaus, verschlossen diese fest und gewannen so eine kurze Atempause. Besorgt beugten sie sich über das verwundete Mädchen und trösteten es in seinem Schmerze. Sie war von des Königs Schnabelhieb zu Tode getroffen. Niemand konnte ihr mehr helfen: „0 ihr kühnen Helden, hättet ihr mich meinem Vater lebendig heimgebracht, so wäre ich einem von Euch zur Frau geworden; jetzt kann es aber niemals sein, meine Lebenszeit ist um, Gott erbarme sich meiner Seele.“ Mit diesen Wörten gab sie ihren Geist in,Herzog Ernsts Armen auf und verstarb.

Schwer wurde nun der folgende Kampf mit den anstürmenden Agrippinern. Die schlugen und stachen mit ihren Schnäbeln, daß sich die Ritter nur mühselig aus dem Schloß durch die Stadt durchhauen konnten. Zum Unglück war das Stadttor schon verschlossen und das Ende schien für Ernst und Wetzel nahe zu sein.

Da schickte es Gott, daß ihre Ritter das Schiff verließen, zu Pferd aufsaßen und nach ihren Herren suchen wollten. Als sie an die Stadt herankamen und ein fürchterliches Rauschen und Lärmen innerhalb er Mauern hörten, schlugen sie die hölzernen Bohlen des Tores mit Streitäxten entzwei und brachten ihren Herren in letzter Minute Hilfe. Ein schweres Ringen hob nun an zwischen den Deutschen und den Kranichhälsen. Trotz Übermacht der Feinde zogen die Ritter in guter Ordnung zu den Schiffen zurück, schlugen tapfer um sich, stachen und hieben männiglich in die gegnerische Schar. Auch als sie endlich auf hoher See waren, setzten ihnen die Agrippiner mit kleinen Booten nach und schossen mit tückischen Giftpfeilen, daß die Luft davon schwirrte. In einem der Schiffe wußte Herzog Ernst ein mächtiges Wurfzeug. Geistesgegenwärtig zog er es hervor und warf drei Kähne der schnatternen Verfolger in den Grund, so daß alle Kranichleute, die darauf ruderten, ertranken. Wie die übrigen erkannten, daß sie die Helden nicht überwinden könnten, kehrten sie schließlich um und beweinten laut ihren König, der im Kampfe umgekommen war.

Aber Herzog Ernst und seine Ritterschaft fuhren auf dem ungestümen Meere dahin und dankten Gott von ganzem Herzen für seinen Beistand gegen die Kranichhälse. Leider lagen einige der Ritter hart verwundet von den giftigen Pfeilen der Feinde. Wen diese Geschosse trafen, den konnte kein Wunderarzt mehr retten! So mußten auch die Verwundeten unter vielen Schmerzen sterben und fanden, beweint on ihren Freunden, ein stilles Grab in den Wellen.

Vier Tage segelten die Ritter mit gutem Winde dahin, bis ein neues Unheil über sie kam. Unerwartet zog am fünften Tage ein unbändiges Ungewitter auf, so daß der Herzog und die Seinen vermeinten, das Schiff müßte jede Minute sinken und zerbrechen. Der Steuermann wußte nicht mehr, in welcher Gegend sie wären; finstere Nacht überschattete die Sonne. Als endlich ein wenig Licht durch die Wolken brach, ging der oberste Schiffsmann hinauf aufs Verdeck und sah sich um. Plötzlich erschrak er gewaltig und rief mit klagender Stimme: „0 allmächtiger Gott, komme uns am heutigen Tage abermals zu Hilfe, sonst müssen wir elend verderben!“ „Schiffsmann, was ist‘s, daß du so schreiest?“ sprach drunten im Schiff Herzog Ernst. — „Herr, flehet zu Gott mit allen den Eurigen um Gnade“, jammerte der Schiffsmann, „wir sind ganz nahe beim Magnetberg und können von ihm und seinen gefährlichen Felsen nicht mehr loskommen. Alle die Schiffe, die ihr an seinem Ufer gestrandet sehet, sind schon verdorben.“ — Herzog Ernst rief ihm darauf zu: „Steig herunter und versuche, ob du nicht mit Gottes Hilfe das Schiff wenden kannst! Handeln ist besser als klagen.“ Doch verzagt und kleinmutig erwiderte der Schiffer: „Unmöglich ist‘s, wir würden wider Gottes Gewalt handeln! Darum betet, daß er Euch gnädig und barmherzig sein wolle.“

Wie der Herzog den Ernst der Lage einsah, holte er seine Ritterschaft zusammen: „Liebe Freunde, da es Gott so haben will, daß wir unser Leben in dem wilden Meere lassen sollen, so falle ein jeder auf die Knie, bitte Gott den Herrn um Gnade, daß er ihm seine Sünden verzeihen wolle.“ Alle sanken nach diesen Worten auf ihre Knie und beteten: „0 allmächtiger Gott, der du bis jetzt uns arme Sünder beschützet hast, sende in der Stunde unseres Verderbens deinen Heiland herab, daß er unsere Seelen in seine Hände nehme!“ Mit dieser frommen Meinung gab sich ein jeder Ritter in Gottes Willen.

Die Kraft des Berges begann auch schon das Schiff an sich zu ziehen und in einem fürchterlichen Anprall zerschellte es an den Klippen. Jetzt fing der große Jammer an; einige der Schiffbrüchigen faßten die Trümmer des zerbrochenen Fahrzeugs und versuchten verzweifelt, schwimmend sich aus dem Wasser zu retten; andere ergaben sich still in ihr Los und versanken schweigend in den Fluten. Mit fünfzehn Getreuen und seinem Freund Wetzel landete Herzog Ernst auf einem gestrandeten Schiff, das am Gestade verfaulte. Viele Tote lagen darin. Unheimlich und gespensterhaft säh alles aus. Um den abscheulichen Gestank der Verwesung zu bannen, legten sie die Leichname an Deck. Siehe, da flogen mächtige Greife von einer nahen Küste herzu, faßten die leblosen Körper in ihren Fängen und brachten sie ihren Jungen zum Fraße. Bei diesem Anblick erhob sich unter den Geretteten ein jämmerliches Geschrei. Die Herren und Ritter riefen laut zu Gott, weinten und wehklagten und winselten um Gnade zu dem Allmächtigen. Traurig irrten sie auf dem Schiffe hin und her, sahen ihr Ende grausig voraus und waren der Verzweiflung nahe. Da stieß Wetzel von ungefähr auf eine Kammer, in der viele Ochsenhäute beieinander lagen. Ein guter Gedanke schoß ihm ein und er sprach zu Ernst: „Allerliebster Herr, vielleicht gibt es doch eine Rettung! Wir müssen nur unser Leben wagen! Sollen wir hier elendiglich und untätig unseren Tod erwarten? Folgt meinem Rate, den ich eben bei mir ersonnen habe! Es sind hier im Schiffe viele Ochsenhäute. Ihr seht sie, sie liegen vor Euch. Darein wollen wir uns nähen lassen und dann sollen uns die Diener auf das Schiffsdeck legen. Wenn die Greifen wiederkommen, so meinen sie sicherlich, wir seien Leichname, und tragen uns in ihr Nest, den wilden Jungen zur Speise. Gott wird ein weiteres Mittel schicken, daß wir mit dem Leben davonkommen. Wenigstens gelangen wir auf diese Weise über das Meer an ein Land.“ Herzog Ernst billigte sofort den Rat und warf nur ein: „Es dünkt mich, wir müssen uns mit unseren Rüstungen versehen, die Greife durchbohren uns sonst mit ihren spitzen Klauen und verstümmeln uns häßlich.“
Nicht gleich schritten sie zur Tat, sondern musterten noch eingehend das Geisterschiff. In einem Winkel fanden sie viele Edelsteine, nahmen davon eine gute Menge zu sich, legten ihre Rüstungen an, ließen sich gleichzeitig in zwei Ochsenhäute nähen und auf das Schiffsdeck legen. Kaum eine Stunde mußten sie warten, da kam ein grausam großer Greif geflogen, der beide mit seinen Fängen anpackte und in die Lüfte entführte, als ob ein Habicht eine Lerche dahintrüge. Mit lauten Klagen sahen die Diener ihren Herrn mitsamt Graf Wetzel entschwinden und hielten beide für verloren.
Als der Greif nach langem Fluge in seinem Nest ankam, legte er die Körper nieder, schwang sich wieder empor und ließ die Herren bei seinen Jungen liegen. Nach einer Weile erst konnte Herzog Ernst zu Wetzel sprechen: „Lieber Geselle, lebst du noch?“ Kaum konnte der andere vor Müdigkeit und Ohnmacht antworten: „Hilft Gott nicht uns armen Sündern, so sind wir des Todes! Ich spüre keinerlei Stärke mehr in meinen Knochen, um mich selbst aus der Ochsenhaut zu befreien.“ Doch Herzog Ernst ermunterte ihn: „Warte noch eine kleine Weile! Die Kräfte werden wieder wachsen.“ Beide lagen darauf eine Stunde ganz still und fürchteten sehr, der alte Greif könnte wiederkommen. Das wäre ihr Tod gewesen! Endlich fühlte Herzog Ernst genügend Kraft in seinen Armen, schnitt sich mit viel Mühe aus der Ochsenhaut und erlöste auch seinen Freund Wetzel. Wie erschraken sie aber über den Anblick der jungen Greife! Die waren so groß wie Kälber. Ein Glück, daß sie scheinbar keinen Hunger hatten!

Rasch entflohen die Helden dem unheimlichen Neste, konnten aber nicht angeben, in welchem Lande sie wären. Es war ihnen dies im Augenblick auch einerlei. Sie dachten nur an ihren Hunger und aßen Wurzeln aus den Steinen. Dann fielen sie wieder auf ihre Knie und lobten und priesen Gottes Allmacht.

Zu dieser Zeit ratschlagten die Diener auf dem Schiffe, wie sie sich ebenfalls helfen könnten. Zwei faßten endlich ein Herz und folgten dem Beispiel ihres Herrn. Auch sie trug der Greif in den Ochsenhäuten in sein Nest, aus dem sie sich befreiten und in den nahen Wald entflohen, in dem schon Herzog Ernst und Graf Wetzel umherirrten. Von den übrigen wagten nochmals zwei den schrecklichen Flug. Der letzte, den kein Freund mehr einnähen konnte, mußte sich Gott empfehlen und einsam sterben. Die vier geretteten Diener liefen jetzo im Walde hin und her, wie Schafe, die ihren Hirten verloren haben. Nichts fanden sie zum Beißen wie die Wurzeln aus der Erde, wilder Durst plagte sie, langsam sank wieder der Mut ihrer Herzen. Doch Gottes Hilfe verließ sie nicht. Ein Hirsch zeigte ihnen die Fährte zu einer Quelle, und in wunderbarer Weise kamen alle vier an des Brunnens Rand zusammen. Nach der ersten Wiedersehensfreude erquickten sie sich gierig an dem fließenden Wasser, dann beratschlagten sie, wie sie nun auch ihren Herrn im dichten Walde suchen wollten. Mühsam stiegen sie durch manche tiefe Kluft und erklommen manche steile Höhe. Zuletzt schwang sich einer der Genossen auf einen hohen Baum und sah plotzlich zwei Gestalten fern im Walde gehen. Laut fing er zu pfeifen und rufen an, die beiden Fremden verhielten, traten naher und die Diener erkannten in freudigem Schreck ihren Herrn mit Graf Wetzel. Ein jeder erzählte nun den anderen, wie es ihm ergangen war, wie er gerettet worden sei und immer wieder bezeugten sie ihre Dankbarkeit, daß sie wenigstens zu sechst am Leben geblieben waren. Um aber die Rettung vollkommen zu machen, war es notwendig, aus dem wilden Wald zu finden. Deshalb gönnten sie sich eine Rast und wanderten unermüdlich über Stock und Stein. Dabei stiegen sie endlich in eine tiefe Schlucht hinab, in der ein reißendes Wasser floß. Mit großer Mühe mußten sie über die Felsen klettern, bis sie vor dem Wasser standen. Sie beschlossen, den Fluß entlang zu kriechen, denn irgendwo müsse er ins Freie kommen und zu Menschen führen. Gefährlich und beschwerlich war dieser Weg und alles Suchen blieb vergebens. Je länger sie gingen, je schlimmer wurde der Pfad; je höher die Schlucht empor wuchs, desto breiter floß das Wasser dahin und schließlich verlor es sich gar in eine tiefe, unterirdische Kluft. So abscheulich brauste die geheime Flut, daß es ein wahrer Schrecken war.

Da befahl Herzog Ernst seinen Rittern, große Bäume mit ihren Streitäxten zu fällen. Das befolgten sie und halfen einander getreulich, die Bäume mit aller Macht zuhauf zu tragen, Weiden und andere junge Stämme darüber zu legen und schließlich ihre Harnische über das Holz zu binden. Sie brachten dadurch ein schwankes Floß zustande. Nach der Arbeit sprach Herzog Ernst: „Meine lieben Freunde, wer mit mir durch den Berg fahren will, der empfehle sich jetzo Gott dem Allmächtigen und bitte ihn um Gnade, daß er uns den Heiland zum Geleitsmann schicken wolle.“ Die Diener verrichteten ihr Gebet, bestiegen dann das Floß, das sie verfertigt hatten, und stießen in das Wasser ab, daß ihr Fahrzeug auf der Stelle wie ein Pfeil dahin schoß. Als sie in das Bergloch einfuhren, wurde es stockfinster, so daß keiner den andern sehen konnte Das Floß schwankte von einer Seite zur andern, so daß sie bald meinten, es wurde in Stücke brechen. Eine Weile schwamm es quer, dann wieder der Länge nach, das Wasser brauste so sehr, daß keiner hören konnte, was der andere ihm zuschrie. Dies ungestüme Fahren trieben sie wohl einen halben Tag. An einer Stelle leuchtete die Felswand des Bergschrundes so hell, als schlage dort ein Feuer aus dem Erdinneren. Als sie ganz nahe dem wunderbaren Flecken kamen, schlug Herzog Ernst ein Stück aus dem Gestein. Diesen herrlichen Stein hieß man auf Lateinisch Unio und zu deutsch Karfunkel. Ihn hat Herzog Ernst seinem Vater mitgebracht, und dieser ließ ihn später in seine Krone als höchste Zierde einsetzen.

Nach dieser abenteuerlichen Fahrt kamen die Vertriebenen abermals in einen dunklen Wald, in dem sie an Land rudern konnten. Doch dieser Forst wurde bald lichter und weiter, und mit überschäumender Freude erkannten sie vom Waldesrand aus viele schöne Städte und Schlösser. Sorgfältig legten sie ihre Harnische an, gingen nach der nächsten Stadt zu und stellten sich dort unter das Tor. Da kamen Menschen mit einem Auge gegangen, das sie gerade über der Nase trugen. Der Name dieses Volkes zu Latein ist Zyklopen, seine Heimat nennt sich Indien, man heißt sie aber auch die Arimasper. Viele von ihnen eilten zum Tor, als die Nachricht von der Ankunft Fremder in den Gassen umging. Lebhaft besahen sie Herzog Ernst und seine Leute und konnten sich nicht genug darüber verwundern, daß es Leute gabe, die zwei Augen besitzen. Sie meinten, das müßten Wilde sein. Rasch eilten sie zu dem Herrn der Stadt und zeigten ihm das Wunder an. Dieser schickte alsogleich nach den Rittern und ließ sie zu sich rufen.

Auch er hielt sie zunächst für Waldmenschen. Als er aber sah, daß sie höflich mit ihm und den Seinen umgingen, gewann er rasch Vertrauen und zeigte sich freundlich. Dies ermutigte Herzog Ernst zu einer dringenden Bitte: „Lieber Herr, machet doch, daß Eure Diener etwas Essen herbeibringen. Wir vergehen sonst vor Hunger, denn wir haben uns seit sechs Tagen nur von Wurzeln genährt.“ Rasch und hilfreich befahl der Herr, daß man ihnen reichlich Speise und Trank reiche. Wie tat es den Verirrten wohl, nach langer Not ihren argen Hunger stillen zu können! Nach vollbrachter Mahlzeit führte der Herr der Stadt Herzog Ernst mit Grafen Wetzel und seinen Dienern in eine verborgene Kammer und fragte sie mit Neugier, von wannen sie denn wären und wie sie hießen. Da antwortete der Herzog: „Ich und meine Gesellen kommen aus einem fernen Land, Bayern zubenannt, und mein Vater ist der allgewaltige Kaiser der Christenheit. Ich wollte eine Wallfahrt vollbringen nach dem Heiligen Grabe gen Jerusalem, doch habe ich mit meiner Ritterschaft auf dem Meere viel Unheil erleiden müssen.“ Nun erzählte er dem Herrn der Stadt alle Abenteuer, die er und seine Genossen schon überstanden hatten.

Am Ende erfuhr der König der Arimasper selbst, daß Herzog Ernst in seinem Reiche wäre. Von Stund an sandte er einen Boten an den Herrn der Stadt, er solle ihm die Fremden überlassen und zuschicken. Wie Ernst mit seinen Rittern vor den König kam, wurde er auch dort aufs beste empfangen und der König gewann die Fremden gar lieb, besonders Ernst und den Grafen Wetzel. So lebten sie schon eine geraume Zeit an des Konigs Hof, als dieser einmal zu Mitternacht auf die Jagd ritt und seine neuen Freunde mitnahm. Nach einer kleinen Weile in scharfem Trab erkannte der König mit Ingrimm, daß die Sciopoden, seine alten Widersacher, wieder in sein Land eingefallen waren, denn eine schöne Stadt lag abgebrannt vor ihnen. Ernst fragte, was das für Feinde wären, da erklärte ihm der König: „Es sind unüberwindliche Streiter, Leute, die aus dem Morgenland kommen, man nennet sie zu Latein Sciopoden, das heißt auf deutsch Einfüßler, denn sie laufen nur auf einem einzigen Fuß und bedecken sich überdies mit ihm, wenn die Sonne zu heftig scheint. Sie hüpfen so geschwind, daß sie für niemand erreichbar sind, zumal auf dem Meere, da springen sie noch schneller als auf dem trockenen Lande.“

Herzog Ernst antwortete sogleich: „Gnädiger Herr, ich bitte Euch ernstlich, gebet mir einige streitbare, tapfere Männer, dann will ich es mit Gottes Hilfe wagen und Eure Feinde zu Tode schlagen.“ Hocherfreut nahm der König den Antrag an und gab dem Ritter eine erkleckliche Zahl von Streitern mit. Ein wilder Kampf entbrannte. Die Einfüßler stritten mit furchterlicher Gewalt. Wild hüpften sie um die Helden, die kaum ihren raschen Bewegungen folgen konnten, doch endlich gelang die kühne Tat. Herzog Ernst schlug nach Stunden heißen Ringens die Einfüßler in die Flucht und befreite das Land von dieser grausamen Plage. Von Volk und König der Arimasper wurde er darob hoch geehrt.

Bald nach diesem schweren Kriege fielen andere Völker ein, Panochen genannt, und forderten herrisch Zins und Unterwerfung von dem König der Zyklopen. Diese neuen Feinde trugen so große Ohren, daß die Lappen bis zur Erde herabhingen. In seiner Not fragte der König Herzog Ernst um Rat, ob er sich unterwerfen und Zins schicken solle oder nicht. Rasch erwiderte der kühne Held: „Niemals! Bietet nochmals Euer Kriegsvolk auf Dann will ich auch diese Landplager verjagen und vertreiben!“ Der König wunderte sich über die Maßen, wie sein edler Gast so mutig sei, tröstete sich bei seinen männlichen Worten und befahl seinen Kriegern, unverzüglich aufzubrechen. Mit dieser Schar zog Herzog Ernst tapfer den Panochen entgegen. Als er ausgekundschaftet hatte, daß sie in einem Walde versammelt waren, umzingelte er diesen Tann mit seinen Reitern und zündete die Bäume an einer Seite an. Verzweifelt rannten die Eindringlinge um ihr Leben und suchten zu entfliehen, aber Herzog Ernst verlegte ihnen listig den Weg und schlug fast alle tot, zweie ausgenommen, die er gefangennahm und mit sich als Beute in das Reich der Arimasper zurückführte. Hier wurde er, wie nach seiner ersten Ausfahrt, von König und Volk feierlich empfangen.
Viele kühne Taten vollbrachte noch Herzog Ernst im Lande seiner Freunde. Er befreite es von den Riesen und manchen anderen mißgünstigen Nachbarn, erwarb Ruhm und Ehre und hätte eine neue Heimat gefunden, wäre ihm die Lust zum Verbleiben gekommen. Doch es drängte den Helden mächtig in die Ferne zu frischen Taten. So warb er eine Schar von Gefolgsleuten aus dem Lande der treuen Einäugler, nahm einige seltsame Gefangene aus seinen Schlachten und Siegen, darunter einen gewaltigen Riesen, mit und zog nach herzlichem Abschied von dannen.
Ihr Ziel war das Reich der Pygmäen, bewohnt von einem Volk wunderbarer und seltsamer Zwerge. Als die kleinen Wichte den Herzog mit seinem Gefolge in ihrem Lande einziehen sahen, fielen sie in eine jammervolle Furcht vor den großen Leuten, gingen den Fremden entgegen und baten sie zitternd um Frieden. Der Ritter gab ihnen sogleich frischen Mut: „Wir sind nicht gekommen Euren Frieden zu brechen, wir wollen Euch vielmehr Frieden in Eurem steten Kampfe gegen die Kraniche machen.“

Darüber gerieten freilich die Zwergenvölker in eine helle Freude. Sie begannen auch gleich ihre bewegte Klage: „Wisset, gnädiger Fremdling, daß uns die grausamen Vögel großen Schaden zufügen; wir wagen am Tage ihretwegen keine Arbeit und müssen in den Nächten die Mühen des Tagwerks auf uns nehmen.“

Mit dem Morgengrauen ging der Herzog, von einigen Zwergen begleitet, aus und ließ seine kleinen Freunde einen Streit mit den Kranichen beginnen. Die Vögel kamen allsogleich geflogen und stachen mit ihren spitzen Schnäbeln der Zwerge viele zu Tode. Rasch ritt aber der Held mit seinen Rittern hinzu und schoß so viele Vogel zusammen, daß das Feld voller Kraniche lag und die Bewohner von ihrem Fleische ein volles Jahr zu essen hatten.

Als Ernst wieder bei dem König war, nach gewonnenem Siege, ließ dieser schwere Kisten voll Gold und seltenen Edelsteinen vortragen und bat ihn sehr, er möchte nehmen, was ihm gefiele. Er lehnte aber ab und bat den Zwergenkönig nur um zwei seiner kleinen Gefolgsleute als Geschenk. Mit Freuden willigte der Pygmäenfürst in diese Bitte ein, und so gewann Herzog Ernst zu seinen seltsamen Begleitern zwei neue hinzu, die klein wie Kinder waren. Nach diesem Abenteuer und nach dem Siegesfeste nahm Ernst auch hier Urlaub und fuhr mit seinen Männern zu den Arimaspern zurück.

Einmal, zur Mittagsstunde, ging er zu seiner Lust ein wenig am Meeresstrande spazieren. Wie er sich so in der Gegend umsah, bemerkte er ein Schiff dem Lande zusegeln. Neugierig schritt er hinzu und fragte die Leute, von wannen sie wären. Ihr Patron gab Auskunft:
„Wir kommen aus Indien und sind vom Winde hergetrieben worden.“ Herzog Ernst fragte weiter, welchen Glauben sie hätten. Wieder sprach der Patron, daß sie an den eingeborenen Sohn Gottes, den Erlöser, glaubten, und ihn niemals verleugnen möchten, wäre es auch ihr Tod. Diese Rede gefiel dem Herzog über die Maßen. Er sprach zu dem Schiffsherrn: „Lieber Schiffsmann, sage mir, hat Euer Land auch Krieg mit bösen Feinden?“ — „Ja, es hatte“, erwiderte der Patron, „eine Zeitlang eine harte Fehde mit dem Sultan von Babylonien, der es gar schlimm verwüstete und verbrannte. Aber seit einem Jahre herrscht Friede mit diesem Wüterich, obwohl ich fürchte, daß der Streit bald wieder beginnen wird.“

Wie freute sich Herzog Ernst über diese neue Aussicht auf Abenteuer und auf Kampf für seinen Christenglauben! Er bat den Patron, nicht ohne sein Wissen abzureisen, denn er hoffe sehr, mitfahren zu können. Er lud auch den Schiffsherrn mit all den Seinigen auf sein Schloß und ließ sie dort aufs beste bewirten. Unterdessen rief er seinen Freund Wetzel und seinen Kämmerer zu sich und sprach zu diesen Treuen: „Liebe Freunde, was ratet ihr dazu? Sollen wir aufbrechen und zu diesen Mohren nach Indien ziehen? Der dortige Mohrenkönig ist christlichen Glaubens und liebt unseren Heiland! Auch wisset ihr wohl, daß wir hier tatenlos sein müssen und uns nicht weit regen können, obwohl mir der König etliche Landschaften geschenkt hat. Soll ich aber deswegen unter den Heiden mein Leben enden? Fern sei mir diese Tatenlosigkeit. Darum, Freunde, was ratet ihr zu der neuen Reise?“ Wetzel und all die anderen antworteten, des Herzogs Rede gefalle ihnen gar wohl und sie zögen auf der Stelle mit ihm. Fröhlich befahl Ernst darauf seinen Dienern, das Mohrenschiff mit Speise und Trank wohl zu versehen, dann nahm er seine wunderbare Gefolgschaft mit sich auf das Fahrzeug und fuhr ohne Abschied von dannen. Alle Städte, die ihm geschenkt worden waren, ließ er gerne seinen Freunden zurück.

Ein guter Wind trieb das Schiff nach Indien. Nach der Landung eilten die Mohren sofort zu ihrem König und zeigten ihm an, daß ein männlicher Held mit ihnen gefahren sei, ein christlicher Mensch, der die Feinde des Reiches bekampfen wolle. Sofort begab sich der König zu dem Meeresstrande hinaus und empfing den Helden mit großer Achtung. Er führte ihn heim in sein Schloß und hielt ihn und seine Ritter gar herrlich eine lange Zeit. Da kam eines Tages ein Bote von Babylon, während sie gerade an der Mittagstafel saßen, der sprach zu dem Mohrenkönige: „Du, König der Mohren, wisse, daß ich von meinem Herrn zu dir geschickt bin und dir vermelden soll, du mögest endlich von deinem Glauben abstehen oder es werde dir schlimm ergehen.“ Bis ins Mark erschrak der König über diese freche Rede und wußte nicht, was er dem Boten erwidern sollte. Doch Herzog Ernst, der mutige Held, nahm ihm die Rede ab: „Sage deinem Herrn, er möge nur kommen; wir wollen seiner warten als echte Kriegsleute, er kann uns den Glauben nicht rauben.“ An den Mohrenfürsten wandte er sich aber mit den tröstenden Worten: „Gnädiger herr, was sinnt Ihr, daß Ihr ein so betrübtes Herz habt? Wisset ihr nicht, daß Ihr ein Herr und König in Eurem Lande seid? Und hättet Ihr nur zehn Männer, so solltet Ihr Euch nicht fürchten!“

Der feindliche Bote kehrte inzwischen zu dem Sultan von Babylon zurück und meldete ihm, was er von Herzog Ernst erfahren habe: „Allergnädigster Herr“, so sprach er, „ich darf Euch die Worte nicht vorenthalten, die einer der Ritter des Königs von Indien, der neben ihm stand, an mich gerichtet hat. Dieser redete also: Sage deinem Herrn, er soll kommen, wir wollen ihm Kriegsleute genug sein, er kann uns den Glauben nicht rauben! Noch mehr schnöder Worte fügte er hinzu, die ich Euch nicht sagen mag, denn ich fürchte meines Königs Zorn.“ Diese Botschaft verdroß den Babylonier sehr. Von Stund‘ an rief er an hunderttausend Heiden zusammen, fiel in des Indiers Land ein, verwüstete, was ihm im Wege kam, schlug Männer, Weiber und Kinder tot und vergoß viel unschuldig Blut. Nun zog auch der König von Indien notgedrungen zu Feld und ließ sein Gezelt aufschlagen. Am anderen Tage hieß er sein Volk in aller Frühe aufstehen und sich zur Feldschlacht anschicken. Er selbst durchschritt seine Heerhaufen, tröstete seine Mannen und sprach ihnen zu, sie sollten tapfer wider die Heiden streiten, befolgten sie diese Bitte ihres Fürsten nicht, so wären sie ewig aus seinem Lande verstoßen, auch würde es ihren Weibern und Kindern übel von den Feinden ergehen.

Während dieser Rede des Königs an seine Krieger kam Herzog Ernst geritten. Dringend bat ihn der Fürst, das Panier zu tragen und allen voranzustreiten. Gerne verstand sich der junge Held dazu, denn er hatte sich mit Graf Wetzel und seinen Gefolgsleuten wohl gerüstet, ebenso war er auch von dem starken Riesen gefolgt, den er seinerzeit gefangen hatte und der ihm nun ein treuer Diener war.
Als beide Heere sich in Schlachtordnung gegeneinander aufgestellt hatten, ritt der Herrscher von Babylon ebenfalls zu seinen Kriegern, tröstete sie mit Mohammed und befahl ihnen, im kommenden Kampfe beherzt dreinzuschlagen, denn sie sähen ja, daß der König von Indien nicht viel Volks hatte, darum sollten sie mit Eifer nach dem Panier trachten; das werde die Schlacht entscheiden. — Er wußte nicht, welch kühner Held es heute trug. — Wie man nun zum ersten und zum zweiten Male geblasen hatte, prüfte jeder nochmals seine Wehr. Beim dritten Trompetenstoß liefen die Heere aufeinander ein und es begann ein Spießkrachen und ein Schreien, daß man eine Meile weit den Lärm hatte hören können. Die Heiden drangen mächtig auf den Herzog ein und strebten darnach, ihm das Panier zu entreißen. Das wurde ihnen übel gelohnt. Graf Wetzel schirmte seinen geliebten Herrn und schlug so tapfer unter die Heiden, daß um ihn her bald ein Totenberg anwuchs Besonders der Riese schlug mit seiner Keule so wild um sich, daß ihm kein Heide standhalten konnte. Mitten in diesem grausamen Schlagen ritt der König von Indien hinter seine Schlachtreihen, stieg vom Pferde und kniete zur Erde nieder, hob seine Hände gen Himmel und flehte zu Gott, er möge ihm den Erlöser zu Hilfe senden und sein gläubig Volk gegen die Bedränger schirmen.

Lange dauerte das Blutvergießen an. Es rann unter den Gefallenen das Blut dahin wie ein Bach, darin mancher Heide und mancher Mohr ertrinken mußte. Der König von Babylon erkannte mit Sorge und Ingrimm das Gemetzel um Herzog Ernsts Banner. Mit einem Schlage wollte er deshalb die Entscheidung erzwingen und jagte auf den Knäuel zu, als wollte er den Herzog im ersten Ansturm niederreiten, aber Graf Wetzel unterlief ihn und versetzte ihm mit seinem guten Schwert einen so harten Schlag, daß er mitsamt dem Rosse zu Boden stürzte. Als die anderen Heiden dies sahen, wollten sie ihrem König zu Hilfe eilen, doch der Riese stand mit seiner Keule dabei und schlug unsäglich viele der Feinde tot, so daß keiner zu seinem Herrn gelangen konnte. So nahm Graf Wetzel den feindlichen Fürsten gefangen. Darob verzagten die Heiden und fingen an die Flucht zu ergreifen. Jetzt faßten sich die Mohren erst ein Herz, rannten ihnen mit aller Gewalt nach und erstachen ihrer viele noch auf der Flucht, so daß wenige mit dem Leben davonkamen. Eine ganze Meile Wegs sah man nichts als Leichname. Als die Mohren erkannten, daß sie das Feld behauptet hatten, ritten sie zur Walstatt zurück und jeder suchte traurig seinen Freund. Ernst rief seine treuen Mannen zusammen, es kamen aber nur drei, der vierte seiner deutschen Begleiter blieb aus. So lange ließ er unter den Toten suchen, bis der Gefallene gefunden war. Der Leichnam wurde nun vor Ernst und Wetzel gebracht. Als sie ihren Getreuen vor sich liegen sahen, weinten sie bitterlich und betrauerten ihn aus tiefstem Herzen. Ein großes Leichenfest wurde ihm bereitet, die Inder erwiesen ihm die letzte Ehre wie seine Kameraden.

Nach der Totenfeier schritt Ernst mit Graf Wetzel zu dem gefangenen König von Babylon und sprach zu ihm in Zorn: „Du Fürst der Heiden, warum verfolgst du also die Anhänger der Christenheit und willst sie von ihrem rechten Glauben abbringen?“ Zerknirscht erwiderte der König von Babylon: „Du männlicher Held, wer magst du wohl sein? Fürwahr, großer Schaden ist von deiner Hand meinem Volke geschehen, und wärest du nicht gewesen, niemals hätte mich der Mohrenkönig überwinden können. Nun aber bin ich ein geschlagener, gefangener Mann.“

Herzog Ernst faßte Mitleid mit dem fremden Fürsten und erzählte ihm seine ganze Reise mit allen Abenteuern, damit er sich tröste, daß er von einem edlen Ritter besiegt worden sei. Nach dieser Erzählung ließ er auch seine wunderlichen Leute vortreten, und stellte sie dem König vor: „Diese Menschen habe ich mit meinen Genossen in seltsamen Landen gefangen. An ihnen könnt Ihr wohl erkennen, wie es mir ergangen ist.“ Lange ging die Rede hin und wider zwischen Ernst und dem Heiden, bis dieser ihm versprach, den Weg nach Jerusalem zu weisen, wenn er seine Gefangennahme löse. Nur schwerlich ließ der Herrscher der Mohren von seiner wertvollen Geißel. Erst als der Babylonier ewigen Frieden schwur, gab er ihn frei. Doch war er betrübt, daß Herzog Ernst von ihm schon scheiden wolle. Er redete ihm freundlich zu, doch in seinem Reiche zu bleiben und sein Gefolgsmann zu werden; er wolle ihm das halbe Königreich abtreten. Den Herzog zog es aber in die Fremde, er willigte deshalb nicht in des Königs Wunsch.

Der babylonische Herrscher, nachdem er Urfehde geschworen hatte, nahm bald mit den Deutschen Urlaub von dem betrübten Mohrenfürsten. Dieser segnete den Herzog und sprach zum Abschied „Liebster Freund, ich bitte Euch ernstlich, wenn Ihr selbst nicht bleiben wollet, lasset mir wenigstens einen Eurer Diener als Andenken zurück.“ Aber auch diese Bitte schlug ihm Ernst ab, er wollte sich nicht von seinen treuen Mannen trennen. Mit großer Freude ritt er schließlich mit dem Sultan von Babylon in dessen Land.
Wie sie drei Tagreisen landeinwärts gekommen waren, wurden viele heidnische Herren die Heimkehr ihres Königs gewahr, ritten ihm mit zahlreichem Volk entgegen und empfingen ihn überaus herzlich, samt Herzog Ernst und Graf Wetzel; auch verwunderten sie sich über die seltsamen Geschöpfe Gottes, die Ernst mit sich aus fernen Ländern mitgebracht hatte. Die ganze Schar zog weiter unter mancherlei Kurzweil, bis endlich die schone Stadt Babylon erreicht war. Daselbst blieb Herzog Ernst drei Wochen zu Gast und besah alles Fremde mit größter Aufmerksamkeit. Nach dieser Ruhepause beauftragte er seinen Freund Wetzel, wieder zum Aufbruch zu rüsten, denn er wollte den lang ersehnten Weg gen Jerusalem antreten. Dem Sultan tat sein Scheiden leid, denn wiewohl er kein Christ war, so gefiel ihm doch die Tapferkeit des Helden sehr und er sprach zu ihm „Weil Ihr nicht Länger bei mir bleiben wollet, so danke ich Euch höflich. Wäret Ihr nicht gewesen, so hätte ich ein gefangener Mann bis zu meinem Lebens- ende bleiben müssen. Durch Eure Furbitte bin ich aber frei geworden. Dafür habe ich versprochen, Euch mit meinem Volke bis zur Stadt Jerusalem zu geleiten.“ Hierauf ließ er dem Herzog viel Gold und Silber reichen und schenkte ihm überdies mancherlei Kleinode. Diese Gabe nahm Herzog Ernst mit großer Freude entgegen und bat den König um zweitausend Heiden mit ihren besten Wehren. Nach einem langen Ritt kamen sie vor die Tore der Heiligen Stadt. Hier sprachen die heidnischen Ritter: „Ihr wißt, liebster Herr, daß wir jetzt von Euch scheiden müssen, denn nun seid Ihr in der Christenheit, da dürfen wir nicht hinein, sonst schlügen sie uns alle tot. Darum bitten wir jetzt um einen freundlichen Abschied von Euch.“

Ernst dankte ihnen herzlich fur die Ehre des Geleits, die sie ihm erwiesen hatten. Dann ritt er der Stadt zu. Als er hart vor ihren Mauern war, schickte er seine wunderlichen Leute mit einem Diener voraus und behielt nur den Riesen mit seiner großen Stange bei sich. Wie der Diener mit den seltsamen Geschöpfen durch die Straßen zog, erschrak das Volk sehr, lief ihm und seiner Wunderschar neugierig nach und versperrte allen Zugang zu der Herberge, in der der Herzog abstieg. Als die Pilger dann hörten, daß der fremde Ritter Herzog Ernst sei, zeigten sie das ihrem Könige an, der über diese Kunde sehr froh ward und den Helden mit aufrichtiger Freude empfing. Gemeinsam mit den Deutschen schritt er zum Heiligen Grab, darin unser Herr Christus geruht hat. Daselbst fiel Herzog Ernst auf seine Knie, dankte Gott und rief: „0 du barmherziger Gott, du hast mich wunderbar erhalten und mir deinen lieben Sohn mehr als einmal zum Schutz geschickt Darum sage ich dir Lob, Ehre und Dank bis in die Ewigkeitt.“ Nach diesem Gebete zog er wieder mit dem König von Jerusalem in dessen Palast und blieb lange Zeit in der Heiligen Stadt.

Wie nun Herzog Ernst bereits ein halbes Jahr in Jerusalem gewesen ist, kamen dahin zween Pilger. Die erkannten ihn wohl und eilten nach ihrer Heimkehr rasch zu Kaiser Otto, um ihm anzuzeigen, daß sein Sohn mit wunderlichen Leuten in der Heiligen Stadt lebe. Sogleich überbrachte der Kaiser diese Botschaft seiner Hausfrau: „Liebe Frau, ich will Euch eine Märe sagen! Dein Sohn Herzog Ernst ist zu Jerusalem und ist ganz grau geworden.“ Bei diesen Worten erschrak die Kaiserin bis in ihr innerstes Herz: „Fürwahr, mein gnädiger Herr, die grauen Haare, die er hat, die zeigen, daß er viel hat leiden müssen!“
Als aber Herzog Ernst ein ganzes Jahr zu Jerusalem gewesen ist, sprach er einstmals zu dem dortigen Konig: „Gnädiger Herr, ich begehre nun einen freundlichen Abschied von Euch, denn es ist jetzt an der Zeit, mein Vaterland aufzusuchen.“ Der König. erschrak über diese Botschaft, denn er hatte gemeint, der gute Herzog werde sein Leben zu Jerusalem endigen. Als er aber einsah, daß dies nicht sein könnte, ließ er zwei große Schiffe mit aller Pracht zubereiten. Bald verabschiedete sich der Held mit seinen Rittern von dem König von Jerusalem und fuhr mit seinem Volk nach Frankreich. Sie kamen mit glücklichem Winde an die französische Küste und zogen von dort nach Paris. Nachdem sie zwei Tage in der Stadt gewesen, wurde einer seiner wunderlichen Manner, den er aus dem Arimasperlande mit gebracht hatte, sehr krank. Es war einer der Sciopoden, der hier zu Paris sterben mußte. Ernst war darüber sehr betrübt und sprach zu seinem Freunde Wetzel: „Mich dünkt, es ware besser, wir gingen wieder zu See und schifften gen Rom. Zuerst wollen wir noch diese Stadt besehen, dann erst wollen wir die Schritte nach Deutschland lenken.“

So fuhren sie wirklich nach Rom und wurden hier mit ihrem Gefolge schön empfangen. Alle Leute verwunderten sich über die seltsamen Menschen die der Herzog mit sich führte und die er alle Tage auf der Straße herumführen ließ, damit sie jedermann genau besehen könnte. Dann wandte er sich an den Papst und bat ihn, er möchte mit einigen hohen Herrn seinen Vater, den Kaiser Otto, besuchen und für ihn um Gnade flehen. Aber der Papt schlug ihm dieses Begehren aus, weil er eben nicht in Einigkeit mit dem Reiche lebte.

Nach acht Tagen Aufenthalt in Rom hielt der Herzog endlich Rat mit seinem Freund Wetzel: „Mein allerliebster Freund, wir wollen uns jetzt aufmachen und nach unserem Vaterlande ziehen. Du weißt, daß wir mancherlei Gefahren ausgestanden haben und oft in großen Ängsten um Leib und Leben gewesen sind, dennoch sind wir mit Gottes Hilfe daraus entkommen. Jetzt aber will mich dünken, steht uns das allerschwerste Elend bevor. Mein Vater wird seinen grimmen Zorn gegen mich noch nicht vergessen haben, obwohl ich unschuldig bin. Darum bitte ich dich, lieber Freund, wie soll ich mich bei meiner Heimkehr verhalten?“ Da riet Graf Wetzel: „Lieber Herr und Freund, ich sehe wohl, daß es uns jetzt übler ergehen wird, als es jemals zuvor war. Doch weiß ich einen Weg. Ihr habt von unserem Wirte vernommen, daß der Kaiser einen Reichstag zu Nürnberg mit seinen Fürsten und Herren halten will. Lasset uns aufsitzen, daß wir bald dahin kommen, dann wollen wir unsere Leute heimlich auf einem Wagen hinaufführen lassen, damit der Kaiser unsere Ankunft nicht gewahr wird. Gott wird schon weitere Hilfe schicken, wenn wir nur erst einmal ungefährdet in des Kaisers Nähe sind.“

Noch am gleichen Tage rüsteten sie zum Aufbruch. Nach dem Mittagessen ließ Herzog Ernst zwei große, gedeckte Wagen zurichten, kaufte für jeden Wagen vier Pferde, nahm noch zwei Knechte an, verbot ihnen aber zu sagen, wer auf den Wagen liege. Nach diesen Vorbereitungen ritten sie aus der Stadt, Ernst und Wetzel voran, die Fahrzeuge in der Mitte und die Diener als Beschluß. In jeder Herberge verbot der Held dem Wirt, von seinen wunderlichen Leuten etwas vermelden zu lassen, nur der Riese lief stets neben ihm her. Über seine Größe wurde überall sehr gestaunt. So ritt Ernst mit seinem Gefolge endlich in die Stadt Nürnberg ein, wo ihn kein Mensch erkannte, auch hielten sie sich in dieser Stadt wie bisher ganz heimlich auf.

An dem Christtage zum Morgen schritt jedermann zur Messe. Auch die Kaiserin fuhr mit etlichen Jungfrauen zur Kirche. Das ersah Herzog Ernst und sprach rasch zu Wetzel „Was rätst du mir? Jetzt ist meine Mutter, die Kaiserin, im Dom; ich will mich wie ein Bettler in der Türe aufstellen und um ein Almosen bitten.“ Diesen Plan billigte der treue Freund und sie gingen miteinander zum Kirchenportal. Als die Kaiserin die Messe wieder verließ, bettelte sie Herzog Ernst vor allem Volke an: „Gebet mir doch ein Almosen, um Christi willen, von wegen Eures Sohnes Ernst!“ Da sprach die Kaiserin: „Ach, lieber Freund, meinen Sohn habe ich lange Zeit nicht gesehen. Wollte Gott, er wäre noch am Leben, ich würde Euch ein gutes Botenbrot geben!“ Schnell erwiderte Ernst: „Gnädige Frau, gebt mir das Botenbrot, dann will ich mich wieder von hinnen machen, denn ich fiel einmal in Ungnade bei meinem Vater und kann nicht wieder zur Ruhe kommen.“ Aufgeregt rief die Kaiserin „So seid Ihr selbst mein Sohn Ernst?“ Jetzt fiel Herzog Ernst vor seiner Mutter auf die Knie: „Mutter, ich bin Euer Sohn, helfet mir, daß ich wieder zu Gnaden und Friede kommen möge!“ — „0 du mein geliebter Sohn, da wir hier nicht Zeit haben, miteinander länger zu reden, o will ich dir einen Weg anzeigen, wie du bei deinem Vater neue Gnade erwerben kannst. Ich rate dir, morgen zu kommen, wenn der Bischof von Bamberg das Evangelium gesungen hat, mit deinem Freunde Wetzel dem Kaiser vor die Fuße zu fallen und ihn zu bitten, dir um Christi willen zu verzeihen, dann will ich heute den Bischof und andere Fürsten ersuchen, daß sie sich bei deinem Vater für dich mit einem Fußfall verwenden So hoffe ich, daß sich des Kaisers Herz erweichen laßt.“ Herzog Ernst nahm nach diesem Gespräch mit großem Trost im Herzen Abschied von seiner Mutter.

Ungeduldig erwartete er den nächsten Tag. Endlich war der Kaiser mit seinen Herren in die Kirche geschritten. Da machten sich Ernst und Wetzel auf eilten miteinander in die Kirche und ließen ihre Diener von ferne folgen. Bei der Kirchentüre stand der Herzog still. Graf Wetzel trat hinter den Altar und wartete der Zeit. Denn hatte der Kaiser seinen Sohn nicht begnadigt und ihn wieder zum Gefängnis verurteilt, wäre es um ihn durch Wetzel geschehen gewesen.
Da saß der Kaiser auf seinem Stuhle ganz herrlich und die Kaiserin in Bangen neben ihm. Der Bischof von Bamberg fing an, mit lauter Stimme das Evangelium zu singen. Als das Amt aus war, verzog er mit der Predigt, denn es war alles mit der Kaiserin verabredet. Da trat Herzog Ernst mit großem Mut vor den Kaiser, seinen Vater, fiel vor ihm nieder auf die Knie, neigte sein Haupt dreimal gegen ihn und sprach: „Allergnädigster Herr und Kaiser, ich bitte Eure Majestät, daß Ihr einem Sünder verzeihen wollt, der vor langer Zeit sich gegen Euch vergangen hat, aber Gott weiß doch wohl, daß er in der Hauptsache unschuldig ist.“ Das Gesicht hielt er wahrend dieser Rede mit seinem Mantel verhüllt.

Der Kaiser hörte gnädig die Bitte an und erwiderte: „Je nachdem die Übeltat ist, wegen der du um Verzeihung bittest, kann ich dir vergeben oder nicht.“ Da stand die Kaiserin von ihrem Stuhle auf und rief: „Gnädiger Herr, vergebet diesem Menschen, weil er an einem hohen Feste so inständig bittet.“ Desgleichen kam der Bischof von Bamberg mit vielen Herren und Fürsten. Auch er bat und sprach:
„Liebster Herr und Kaiser, Ihr solltet diesem armen Menschen wirklich vergeben, denn ihr wisset wohl, es ist vor Gott kein Sünder so groß, daß ihm nicht vom Allmächtigen verziehen werde, wenn er rechte Reue bezeigt.“ Da entschied huldvoll der Kaiser: „So soll ihm verziehen sein, doch will ich wissen, wer er ist.“

Nun warf Herzog Ernst den Mantel von seinem Angesicht zurück und der Kaiser erkannte ihn sofort. Wohl verfärbte sich der Kaiser zunächst vor Zorn, als er aber der Herren inständige Bitten erkannte, sprach er zu dem Helden: „Lieber Sohn, wo ist dein Freund, Graf Wetzel, hingekommen?“ Ernst erwiderte „Dort bei dem Altare steht er!“ Damit rief er ihn und Wetzel kam in großer Freude gegangen und der Kaiser gab beiden den Kuß des Friedens.
Hohe Freude zog in die Herzen aller ein. Herzog Ernst erzählte lange dem Kaiser seine schweren Abenteuer, bis dieser erkannte, wie sehr er seinem Sohne Unrecht getan hatte. Zum Zeichen seiner neuen Huld gab er ihm seine Länder Österreich und Bayern wieder zurück. So durfte Ernst nach langer Irrfahrt heimkehren in die traute Heimat, in das schöne Land seiner Väter.

Quelle: Im Reich der Sage; Otto Wutzel; Oberösterreichischer Landesverlag Linz;
4. Auflage 1958

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