DER GEHÖRNTE SIEGFRIED

In jener alten Heldenzeit, da König Artus in Britannien mit seinen edlen Rittern Tafelrunde hielt, wohnte in den Niederlanden ein König mit Namen Sieghard, dessen Gemahlin einen einzigen Sohn, Siegfried, hatte. Was dieser erlebt und ausgestanden, will die nachfolgende Sage erzählen.

Der Knabe Siegfried ward groß und stark, gab wenig auf Vater und Mutter, sondern dachte nur darauf, wie er ein freier Mann werden könnte. Er bereitete seinen Eltern große Sorgen, und der König hielt mit seinen Vertrauten Rat, wie aus ihm schnell ein berühmter Held werden möchte. Aber Siegfried konnte die Zeit nicht erwarten, bis ihn der Vater ausgestattet hätte, und schied ohne Urlaub, um allein sein Abenteuer zu versuchen. Wie er nun durch Gehölz und Wildnis zog und der Hunger ihn bald mächtig quälte, sah er vor einem dichten Walde ein Dorf liegen; flugs richtete er seine Schritte dorthin. Zunächst vor dem Dorfe wohnte ein Schmied. Ihn sprach Siegfried an, ob er einen Jungen oder Knecht zur Arbeit nötig habe. Als der Schmied sah, daß Siegfried ein wackerer und gesunder Bursche war, ließ er sich‘s gefallen und gab dem Knaben zu essen und zu trinken, daß es ihm wohl gefalle bei ihm. Am nächsten Morgen stellte er ihn als seinen Jungen an und führte ihn zur Arbeit, denn er wollte sehen, ob er sich auch zum Handwerk schicke. Als er ihm aber den Hammer in die Hand gegeben, da schlug Siegfried mit so grausamer Stärke auf das Eisen, daß dieses entzweiging und der Amboß beinahe in die Erde sank. Der Meister erschrak darüber und wurde recht ärgerlich; er nahm den jungen Siegfried bei den Haaren und zauste ihn ein wenig. Dieser aber, der solche Strafe nicht gewohnt war, nahm den Alten beim Kragen und warf ihn auf Gottes Erdboden nieder, daß ihm die Knochen krachten und er sich geraume Zeit nicht besinnen konnte. Sowie er wieder zu sich kam, rief er seinem Knecht, er möge ihm schnell zu Hilfe eilen. Doch Siegfried empfing den Diener wie den Herrn. — So konnte sich der Meister nicht gegen seine Bärenstärke helfen. Deswegen sann er heimlich auf Mittel und Wege, wie er den ungefügen jungen wieder loswerden könnte.

Deswegen berief er am nächsten Morgen Siegfried zu sich und sprach also zu ihm: „Da ich gerade Kohlen brauche, mußt du in den Wald gehen und mir einen Sack voll holen, denn es wohnt dort ein Köhler, bei dem ich allezeit einkaufe.“ Des Schmiedes heimliche Meinung aber war, der furchtbare Drache, der sich in dem Wald bei der Linde — eben an der Stelle, wohin Siegfried von ihm gewiesen wurde — aufhielt, solle ihn töten. Siegfried ging ohne jeden Argwohn in den Forst, fröhlich und unbekümmert, wie er immer war. Wie er aber zu der Linde kam, schoß das ungeheure Tier auf ihn daher und sperrte den Rachen auf, ihn ganz und gar zu verschlingen. Siegfried bedachte sich nicht lange; den ersten Baum, der ihm zu Handen kam, riß er aus der Erde und warf denselben auf den Drachen. Dieser verwickelte sich mit seinem Schweif in die Äste und Zweige des Baumes und verstrickte sich so, daß er nicht mehr ledig werden konnte. Siegfried riß nun Baum um Baum heraus, warf alle auf das Untier zuhauf und lief dann schnell in des Köhlers Hütte, um Feuer zu holen. Damit zündete er die Bäume an, daß sie krachend und prasselnd mit dem Drachen verbrannten. Da floß unter den brennenden Stämmen und Ästen das Fett wie ein Bächlein dahin. Siegfried tauchte seinen Finger in das Fett, und wie es erkaltet war, zeigte es sich als hartes Horn. Als der junge Held solches ersah, warf er sogleich die Kleider ab und überstrich seinen ganzen Leib mit dem Drachenfett, mit Ausnahme zweier Flecke an der Schulter, wohin er nicht gelangen konnte. Und dies ist die Ursache, warum er später der gehörnte Siegfried genannt ward.

Wie Siegfried sich allenthalben mit Horn gewaffnet fühlte, dachte er bei sich: „Jetzt bist du gepanzert, jetzt kannst du wie ein anderer Ritter hingehen, wohin dich gelüstet.“ Er begab sich nun an den Hof eines weitberühmten Königs, der hieß Gilbald und hielt Hof zu Worms am Rheine Dieser König hatte drei Söhne und eine überaus schöne Tochter, Florigunde geheißen. Einmal geschah es an einem heißen Mittage, daß die Jungfrau an einem Fenster lehnte, um frische Luft zu schöpfen. In dieser Stunde kam ein ungeheurer Drache herangefiogen, der einen solchen Flammenschein verbreitete, daß es nicht anders aussah, als stünde die Burg in Feuer. Das Untier faßte die schöne Jungfrau und entführte sie mit sich in die Lüfte, hoch über das Gebirge hinweg, daß man seinen riesigen Schatten eine halbe Stunde lang auf den Bergen sehen konnte. Der Vater und die Mutter des Fräuleins vergingen in bitteren Ängsten, die Mutter weinte Tag und Nacht, bis ihre Augen blind wurden. Derweil hatte das Ungeheuer die Jungfrau auf den Drachenstein gebracht, und da es von dem Fluge müde war, legte es sein Haupt in ihren Schoß und entschlief. Es fing an zu schnarchen, und über sein ungefüges Atmen erzitterte der Felsen. Da könnet ihr denken, wie der Jungfrau zumute gewesen sein wird, als sie nichts anderes vor sich sah, denn von diesem Ungetüm zerrissen zu werden.

Inzwischen kam das Fest der Ostern heran, und an dem heiligen Ostertage verwandelte sich der Drache in eine gewaltige Menschengestalt. Die Jungfrau wußte nicht, ob sie hoffen dürfe oder noch Ärgeres erwarten solle. Sie sprach daher zu dem Unbekannten: „Werter Held, wie übel habt Ihr an mir, meinem Vater, meiner herzlieben Mutter und all den Meinigen getan! So viele Tage sind es, daß Ihr mich entführt habt und ich in dieser Öde mit Wurzeln und Kräutern mein Leben fristen muß. Wollet Ihr mir nun vergönnen, mit meinen Eltern und Geschwistern zu sprechen und mich zu ihnen führen, so will ich Euch hier unverbrüchlich angeloben, daß ich wieder auf diesen Stein und an diese Stelle zurückkomme, Euch auch gerne folge, wohin Ihr sonst mich führen wollet.“ Das Ungeheuer antwortete aber: „Du bittest vergeblich; du wirst nie mehr Vater, Mutter und Brüder wiedersehen.“ Dies war der Jungfrau ein Donnerschlag in Seele und Herz. Als sie darob in Todesschrecken niedergesunken saß und kein Wort mehr reden konnte, da sprach der Mensch, der ein Drache gewesen war, zu ihr: „Du darfst nicht so sehr trauern, noch viel weniger hast du dich meiner zu schämen. Ich verwandle mich zwar auf der Stelle wieder in einen Drachen und du mußt ausharren bei mir fünf Jahre und einen Tag; dann aber werde ich zu einem Manne und du wirst meine Fräu. Am Ende wirst du freilich mit mir zur Hölle fahren müssen, dort wird ein einziger Tag sein, wie ein ganzes Jahr.“ Als die Jungfrau diese erschrecklichen Worte horte, so erzitterte sie an Leib und Seele. Bald betete sie zu Gott, bald schrie sie zu ihren Eltern und Geschwistern hinaus in die leere Luft, Tag und Nacht, daß sie oft kraftlos in tiefe Ohnmacht darniedersank. Der Mann aber nahm wieder Drachengestalt an und hütete sie grimmig wie ein Leu.

Der König und die Königin zu Worms besannen sich endlich und schickten Boten in alle Lande hinaus, die ihre Tochter Florigunde suchen sollten. So erlangten sie zuletzt die unsichere Kunde, daß diese auf dem Drachenstein von einem Drachen versteckt gehalten werde; zugleich brachten die Boten einen Spruch von frommen Leuten, die der Zukunft kundig waren, daß niemand außer einem einzigen Ritter die Jungfrau unter unerhörten Abenteuern und Gefahren erlösen werde können.

Indessen vergingen vier Jahre. Wäre auch das funfte Jahr noch hinzugeschlichen, so hätte die Jungfrau nicht mehr gerettet werden können. Siegfried war nunmehr zu seinen männlichen Jahren gekommen. Er ging in das Land hinaus, fing Bären und Löwen und hing sie zum Gespötte an die Baume auf, worüber sich jedermann verwunderte. Eines Tages war König Gilbald mit seinem Hofgesinde auf die Jagd geritten, um seine trübseligen Gedanken etwas zu vertreiben. Er hatte im Dickicht des Waldes seine Gesellschaft verloren, so daß niemand mehr bei ihm war als Siegfried, der ihn nie verließ. Da begab es sich, daß ein großmächtiger Eber auf den König zurannte. Der alte Mann wollte mit seinem Spieße nach dem Tiere stechen, Siegfried aber kam ihm zuvor und schlug dem Eber mit seinem Schwerte den Kopf auseinander, daß er leblos zur Erde fiel. Der König wunderte sich über die Maßen, als er des jungen Helden Starke erkannte.

Nicht lange darnach kamen Fürsten von allen Enden der Welt nach Worms, den König Gilbald und seine traute Gemahlin wegen ihrer verlorenen Tochter zu trösten. Der König ließ ein Turnier mit Lanzenstechen ausschreiben, damit er sehen konne, wie sich Siegfried dazu schicke, denn er setzte alle Hoffnung auf den Jüngling. Als der festgesetzte Tag herannahte, kam ein jeder wohlbewaffnet und wohlgerüstet zu dem Kampfplatz. Gleich wurde die Bahn geteilt, damit keiner vor dem anderen einen Vorteil gewinne. Darauf begann das Stechen, und es wurde so wacker gekämpft, daß mancher Ritter den Sattel räumen mußte. Siegfried allein war nicht aus dem Sattel zu werfen, so daß nach vollendetem Turnier ihm der Preis zuerkannt wurde und er eine schone güldene Kette erhielt, an der ein köstliches Kleinod hing. Wie dies die anwesenden Könige, Fürsten und Herren sahen, wurde der edle Siegfried hoch geehrt und mit aller Einwilligung feierlich zum Ritter geschlagen. Da endlich die ganze werte Ritterschaft Urlaub nahm, ward ihm die Ehre überlassen, den Herren auf mehreren Meilen Weges das Geleite zu geben.

Von der Begleitung zurückgekehrt, fand er den König und die Königin in großer Trauer, denn sie hatten sich eben wieder von ihrer Tochter Florigunde unterhalten, und ihr Herz war darüber von neuem in tiefe Ängste geraten. Da tröstete sie Siegfried auf das beste und sprach mit Zuversicht die Hoffnung aus, daß es ihm beschieden sei, mit Gottes Hilfe ihre Tochter zu erlösen. Die Nacht darauf hatte Siegfried einen hellen Traum. Die schöne Florigunde stand, wie sie leibte und lebte, vor ihm, worüber er unendlich erfreut war. Als er erwachte und der Tag anbrach, kam ihn eine Lust zu jagen an, er nahm deshalb seine Hunde und ritt mit ihnen in den nahen Tann. Bald gelangten sie in den dichtesten Wald, wo sich kein Wild blicken ließ. Siehe, da lief einer seiner besten Spürhunde in das Gehölz, dem folgte Siegfried mit Eifer nach, und so brachte ihn der Zufall auf die Spur, die zu dem Orte führte, wo der Drache sich mit der Jungfrau verborgen hielt. Bis in den vierten Tag verfolgte er mit seinen Hunden diese Spur, ohne an Essen und Trinken zu denken, denn stets schwebte ihm die schöne Florigunde vor Augen.

Wie er endlich merkte, daß sein Pferd matt und matter wurde, ließ er es ein wenig grasen; selbst fühlte er sich ebenso ermüdet und wollte ruhen, als aus dem Walde ein riesiger Löwe auf ihn zulief. Hier sei nicht lange Zeit zum Spaßen, dachte Siegfried, griff dem wilden Tier beherzt in den Rachen und riß diesen voneinander, daß das Raubtier tot vor ihm dalag. Dann nahm er den Erlegten, hing ihn an einem Baum auf, sattelte sein Pferd und eilte dem Hunde nach, der ein getreuer Wegweiser war.

Noch war er nicht weit geritten, als ihm ein gewappneter Ritter begegnete, der ihn barsch anrief: „Junger Fant, wer du auch seist, du kommst ohne Schwertstreich nicht von hier, du gibst dich mir denn gefangen. Wo nicht, so mußt du von meinen Händen sterben.“ Mit diesen Worten zog er sein mächtiges Schwert. Auch Siegfried griff rasch zur Klinge und sprach: „Du viel kühner Ritter, wer du auch seist, wehre dich männlich, ich will dich lehren, daß man einen beherzten Wanderer nicht ungestraft auf freier Straße anfällt.“ Damit schlugen sie kräftig zusammen, daß die Funken stoben. Im Kampfe rief der gewappnete Ritter zu Siegfried: „Ich sage dir, Held, gib dich gefangen; du bist ja nicht gewappnet, so kannst du mir auch nicht widerstehen.“ Siegfried erwiderte „Ich will dir deine Waffen bald lösen!“ Dazu führte er einen so gewaltigen Streich gegen den Ritter, daß er ihm das Visier wegschlug. „Das soll dir übel bekommen“, schrie der andere, „bisher habe ich dich nur aus gutem Willen geschont.“ Zugleich holte er zu einem fürchterlichen Schlage aus, um Siegfried das Haupt zu spalten. Dieser fing den Hieb jedoch behende auf und traf seinen Gegner in den Hals, daß er vom Pferde zur Erde sank. Dann schwang sich auch Siegfried von seinem Rosse, neigte sich über den Ritter und betrachtete seine Wunden. Als er sah, daß sie tödlich waren, gereute es ihn, seinen Feind so hart getroffen zu haben; hilfreich zog er ihm den Harnisch ab und hoffte, wenn er frische Luft schöpfe, würde er wieder zu sich kommen. Es fruchtete aber nur so viel, daß der sterbende Ritter noch einige Worte sprechen konnte. So fragte ihn denn Siegfried: „Sage mir, edler Ritter, von wannen bist du? wie ist dein Name? was ist die Ursache, daß du mich so freventlich angerannt hast?“ Der Sterbende antwortete matt: „Ich wollte dir gerne Bescheid geben, wenn ich nur Kraft genug besäße; so aber sage mir, wer du bist.“ — „Sie heißen mich den gehörnten Siegfried“, gab der junge Held zurück. Als der Ritter diesen Namen horte, richtete er sich auf und sprach mit langsamen Worten: „Wenn du der bist, so bin ich von eines berühmten Mannes Hand gefallen. Aber es geht zu Ende mit mir, darum vermache ich dir meinen Harnisch und meinen Schild, du wirst beide nötig haben. Hier in diesem Walde wohnt ein gewaltiger Riese, Wolfgrambär genannt; der hat auch mich bezwungen und zu seinem Gefangenen gemacht, als ich in diesen Wald kam. Denn ich bin aus Sizilien gebürtig und in die Fremde gezogen, um Abenteuer zu bestehen. Da überwand mich hier der Riese und wollte mich behalten, bis ich ihm fünf andere Ritter unterwürfig gemacht hatte, erst dann sollte ich meine Freiheit wieder erhalten. Nun habe ich aber nur einen zu Fall gebracht, und der bin ich selber. Gerne mochte ich dir von einem anderen Geheimnis erzählen, das dieser Wald verbirgt, von einem Drachen, der eine schone Jungfrau gefangen hält, aber ach — ich muß scheiden!“

Er winkte mit der Hand zum Abschied, dann brach sein Auge und er gab den Geist auf. Als Siegfried ihn so dahinsinken sah, beklagte er ihn ehrlich und jammerte auch, daß ihm die Nachricht von der schönen Florigunde so nahe gewesen und jetzt entschwunden sei. Doch konnte er es nicht mehr ändern. Darum nahm er von dem toten Ritter den Schild und die Sturmhaube. Den Panzer, der ihm auch vermacht war, zog er dem Toten nicht ab, denn seine gehörnte Haut bedurfte keines Harnisches. Auch war er vom langen Fasten und Wachen so matt, daß er die Last nicht hätte tragen können.

Bald setzte sich Siegfried wieder auf sein Roß und ritt aufs Ungewisse fürbaß in den Wald. Plötzlich kam ein Zwerglein auf einem kohlschwarzen Rosse dahergeritten, mit überaus köstlichen Kleidern angetan. Der Zwerg hieß Egwald und war ein König von großem Reichtum. Als er den gehörnten Siegfried sah, grüßte er ihn gar tugendlich. Siegfried bedankte sich mit allen Sitten und bestaunte die kostbare Kleidung, die überaus köstliche Krone und das herrliche Gefolge des Königs. Derselbe hatte nicht weniger denn tausend Zwerge bei sich, alle wohl geputzt und bewaffnet, die sich allsogleich mitsamt dem Könige zu seinen Diensten erboten. Der König Egwald hatte nämlich den Ritter Siegfried sofort erkannt. Er konnte sich nicht genugsam verwundern, wie und warum er diesen unwegsamen Ort aufgesucht habe. Siegfried dankte bei sich Gott, daß er ihm so fügliche Mittel und Wege zeige, sein Vorhaben weiter ins Werk zu setzen. Er bat den König, ihn doch seiner Treue und Tugend genießen zu lassen und ihm zu sagen, wie er am schnellsten nach dem Sitze des Drachen gelangen könnte. Über solche Bitte aber erschrak König Egwald sehr und sprach zu dem jungen Helden: „Stehe ab von deinem Wunsche, denn es wohnt dort ein entsetzlicher Drache, der eine schöne Jungfrau, eines Königs Töchter, gefangen hält. Kein Mensch kann die Arme erlösen! Ihr Vater heißt Gilbald und das Fräulein Florigunde.“ So erschrocken der Zwerg war, so froh ward Siegfried über seine Worte. „Es genügt mir“, sprach er, „und nun bedarf es weiter nichts, als daß ich die Jungfrau von dem Drachen errette.“ Als der Zwerg vernahm, daß Siegfried von seinem Vorhaben nicht lassen wolle, entsetzte er sich und bat ihn dringend, nicht das furchtbare Wagstück zu unternehmen, sondern ungefährdet von hinnen zu scheiden. Da stieß Siegfried sein Schwert in die Erde und schwur einen dreifachen Eid: er wolle nicht eher aus dem Walde weichen, er habe denn die Jungfrau erlöst — „Und wenn du noch drei Eide schwörest“, sagte der Zwerg, „so ist doch all dein Wagen vergebens. Dein Leben ist verloren, wenn du dich nicht von hinnen begibst.“ Darauf Siegfried: „Ach, lieber König Egwald, das geschieht nimmermehr; anstatt mich abzuschrecken, solltest du mir viel lieber die Jungfrau erretten helfen.“ Das Zwerglein fürchtete sich aber zu sehr vor dem Abenteuer und bedachte mit Eifer, wie es entfliehen mochte. Siegfried erriet seine Gedanken, ergriff den Kleinen bei den Haaren und warf ihn an eine Felswand, daß seine schöne Krone in Stücke brach. Jetzt flehte der Zwerg gar jämmerlich: „Lieber Ritter, sänftige deinen Zorn und schone meines Lebens, ich will dir raten und helfen, so gut ich kann.“ — „Das danke dir der Satan, daß du jetzt so sprichst“, erwiderte Siegfried. Der Zwergenkönig berichtete nun: „Hier ganz in dieser Nahe wohnt der Riese Wolfgrambär, der hat tausend Mannen unter sich, die ihm alle zu Gebote stehen. Der hat den Schlüssel zum Drachenstein!“ — „Nun Zwerg“, gab Siegfried zurück, „so zeige mir alsbald den Weg zu ihm, damit ich der Jungfrau zu Hilfe komme und sie errette. Wo nicht, so mußt du sterben.“ Der Zwerg zitterte vor Angst und wies den Ritter vorwärts nach einem Berge bei einer steinernen Wand, wo der Riese seine Wohnung hatte.

Als Siegfried dorthin gelangte, pochte er an die Tür des Felsenhauses, rief den Riesen mit Namen und hieß ihn zu sich herauskommen. Sobald der Riese diese kecke Rede vernahm, sprang er mit Zorn und Grimm heraus, mit einer eisernen Stange in der Hand, und rief: „Welcher Teufel hat dich hierher gebracht? Denke nur nicht, daß dich deine Füße wieder hinwegtragen werden.“ Unerschrocken antwortete Siegfried: „Es ist nun schon vier Jahre, daß du die schöne Jungfrau Florigunde in Elend und Trübsal auf dem Drachenstein gefangen hältst. Darum begehre ich von dir, mir die Jungfrau ohne Verzug herauszugeben.“ Als der Riese diese Worte hörte, wurde er noch grimmiger, schwang die eiserne Stange und führte einen so ungeheuren Streich gegen Siegfried, daß die Äste von den Bäumen umherflogen und die Stange tief in die Erde fuhr. Doch der Schlag hatte sein Ziel verfehlt, denn Siegfried war ihm behende aus dem Wege gesprungen. Der Riese, als er sah, daß er den Ritter nicht verwundet hatte, wurde immer wilder und schlug so mächtig auf den Helden, als ob er ihn zerscheitern wollte. Siegfried jedoch, hurtig und gelenk, sprang wohl drei Klafter hinter sich und faßte sein gutes Schwert zur Hand. Wie der Riese, von dem ungeheuren Schlag mitgerissen, die Stange fallen ließ, sprang Siegfried wieder vorwärts und brachte dem Riesen eine so tiefe Wunde bei, daß das Blut stromweise von ihm lief. Da sprach der Verwundete voll Ingrimm: „Du junger Fant, wie kannst du dich erkühnen, wider den zu streiten, vor dem sich ein ganzes Heer fürchtet? Du solltest dich lieber tausend Meilen von dannen wünschen.“ Damit tat er abermals einen so kräftigen Schlag nach dem Helden, daß die Stange in die Erde fuhr und ihn ohne Zweifel zu Boden geschlagen hätte, wäre ihm nicht nochmals seine Behendigkeit zu Hilfe gekommen. Das verdroß den Riesen über die Maßen und er entfloh in seine steinerne Wand. Dort verband er seine Wunden so gut er konnte.

Siegfried ließ ihm aber nicht lange Muße und pochte neuerdings an des Riesen Haus. Wutentbrannt gab ihm dieser zur Antwort: „Werde nur nicht ungeduldig! Bald will ich wieder bei dir sein und dir den Garaus machen.“ Inzwischen hatte sich der Riese mit einem vergoldeten Harnisch bewaffnet, der mit Drachenblut gehärtet war. Auch sein Helm war Überaus stark und künstlich ausgearbeitet. Der Schild glänzte von blankem Stahl und war einen Schuh dick. Auch trug er eine andere Stange in der Hand, die war an allen vier Ecken so scharf, daß er damit ein Wagenrad, wie stark es auch mit Eisen beschlagen sein mochte, auf einen Streich entzweischlagen konnte. Überdem hatte er in großes, starkes Schwert an seiner Seite. So gerüstet, sprang er wieder hervor aus der steinernen Wand, erfüllt von Zorn und Grimm, aber auch von Zuversicht: „Nun sage mir, du kleiner Bösewicht, welcher Teufel dich hieher geführt hat, daß du mich in meinem eigenen Hause ermorden willst?“ Siegfried entgegnete: „Das lügst du in deinen Hals; ich habe dich nur heißen, zu mir herausgehen.“ — „Was, du willst noch pochen? Du solltest wünschen, niemals hieher gekommen zu sein. An einen Baum will ich dich henken.“ — „Du Ungeheuer“, rief Siegfried, „meinst du, ich sei hergekommen, mich henken zu lassen? Nein, das wird dir Gott verbieten! Und ich sage dir, gibst du mir nicht die Jungfrau vom Drachenstein heraus, so will ich dir dein Leben nehmen und wärst du der Teufel selber. Gott ist stärker als du; er wird mich nicht in deine Hände geben.“ — „Ich sollte dir die Magd wieder geben? Nimmermehr geschieht das! Es scheint, du kennst meine Kraft und Stärke nicht. Ich will dir lehren, wohin es führt, wenn man nach Jungfrauen trachtet.“ — „Du Schnarcher“, sprach darauf Siegfried, „hilf mir die Jungfrau gewinnen oder ich will dir zeigen, wer ich bin und was ich vermag.“ Nach diesen Reden schlugen beide so grimmig aufeinander ein, daß Feuer aus ihren Helmen und Schilden fuhr. Siegfried war nicht anders zumute, als schlüge er bei seinem Meister Schmied auf den Amboß, und es fehlte wenig, so hätte er auch den Riesen in die Erde hineingeschlagen. Als er ihn endlich zu Boden geworfen, schwang er sich auf sein Pferd, weil er sonst gegen seinen Feind zu klein gewesen wäre, und stach und schlug den Riesen fast zu Tode, so daß dieser sich auf dem Boden streckte und das Blut in Strömen von ihm floß.

Wie nun Wolfgrambär sechzehn tiefe Wunden empfangen hatte, begann er, um sein Leben zu bitten, und mußte dem kühnen Ritter wider seinen stolzen Willen den Sieg zuerkennen. „Du magst wohl mit allen Ehren den Ritternamen fuhren, denn du bist nur ein kleiner Mann und gegen mich für ein Kind zu rechnen, und gleichwohl hast du mich überwunden. Wenn du mir aber mein Leben schenkst, so will ich dir alle meine Rüstung und mich selbst zum Pfand meiner Treue übergeben“. Darauf antwortete Siegfried: „Deine Bitte sei dir gewährt, kannst du mir die Jungfrau Florigunde vom Drachenstein befreien helfen.“

Da schwur der Riese Wolfgrambär dem Ritter einen teuren Eid, er wolle ihm die Jungfrau gewinnen helfen. „So schwöre ich dir auch“, erwiderte Siegfried, „dein Leben zu erhalten. Deine Wunden hattest du dir sparen können. Nun aber sage mir, Gesell, wie kommen wir am raschesten auf den Drachenstein.“ — „Das will ich dir sogleich zeigen“, antwortete der meineidige Riese und wies den Ritter in ein finsteres Tal, durch das ein wildes Bergwasser dähinfloß, dessen Geräusch und häßliches Geheul den Widerhall zwischen dem Gebirge und dem Drachenstein aufweckte. Wie sie nun einher gingen und Siegfried sich keines Übels versah, sondern nur mit Verlangen auf den Augenblick wartete, da er der schönen Jungfrau und des Drachens ansichtig werden sollte, gab der treubrüchige Riese dem edlen Ritter von hinten einen so ungeheuren Schlag, daß er davon zur Erde sank und ihm das Blut aus Mund und Nase floß. Nie hatte Siegfried einen so harten Streich von einer Mannesfaust erhalten. Ohne Zweifel wäre er unter des Riesen Hand verloren gewesen, wäre nicht das Zwerglein Egwald dazwischen gekommen und hätte mit seinen Künsten dem Siegfried das Leben gerettet. Dieser lag von dem Schlage ohnmachtig zur Erde gestreckt. Rasch setzte ihm Egwald eine Tarnkappe auf, die ihn sofort dem Anblick des Riesen entzog. Wolfgrambär drehte sich nach links und rechts wie toll und unsinnig herum. „Hat dich der Böse von hinnen geführt“, rief er wutentbrannt, „oder hat es Gott getan? Erst lagst du hilflos vor mir auf dem Boden und jetzt bist du nicht mehr hier!“ Darüber mußte das Zwerglein heimlich lachen, richtete Siegfried auf und setzte ihn neben sich. Als der Held wieder zu sich kam, dankte er dem Zwerg von ganzem Herzen: „Gott“, sprach er, „wird dir‘s vergelten, daß du so treulich an mir gehandelt hast.“ — „Ja“, antwortete Egwald, „wohl hast du Ursache, Gott zu danken, edler Ritter, denn ohne meine Hilfe wärest du unrettbar verloren gewesen. Jetzt aber bitte ich dich nochmals, nicht mehr an die Jungfrau zu denken, damit nichts Schlimmeres an dir geschehe. Jetzt kannst du noch ohne Gefahr unter meiner Nebelkappe von hinnen fliehen.“ Ungeduldig erwiderte Siegfried: „Zwerg, deine Bitten sind vergebens! Wie! Sollte ich all die Mühen und Nöte umsonst aufgewendet haben? Das sei mir ferne; hätte ich tausend Leben, ich wollte sie alle wagen und kein einziges sollte mir übrig bleiben!“ Mit diesen Worten riß er die Nebelkappe ab, so daß er wieder sichtbar ward, nahm sein Schwert, lief voll Grimm den Riesen männlich an und hieb ihm acht weitere tiefe Wunden. Da schrie der Riese laut auf: „Du bist ein so kleiner Mann und schlägst so kraftiglich auf mich ein! Was nützet dich mein Tod? Nach mir ist kein Mensch auf der Welt vorhanden, der dir die Jungfrau gewinnen helfen kann.“ Siegfried mußte ihm recht geben. „So hebe dich von dannen und gehe immerhin voran, mir den Weg zum Drachenstein zu zeigen. Tust du dies nicht, so schlage ich dir dein Haupt ab, und sollte darüber die ganze Welt untergehen.“

Als der Riese den bitteren Ernst an dem Ritter ersah, nahm er seinen- Schlüssel in die Hand und schritt voran, bis sie zu einer Türe kamen, die acht Klafter tief unter der Erde verborgen und verschlossen lag. Diese schloß der Riese auf. Kaum war sie aufgesperrt, so riß Siegfried den Schlüssel an sich und befahl: „Jetzt hebe dich fort, du nichtswürdiger, treuloser Bösewicht und zeige mir den Weg zu der Jungfrau oder ich will dir deine Untreue an deinem Kopfe vergelten.“

Beide stiegen die ungeheure Tiefe des Gesteins hinab und wurden sehr müde. Zumal der Riese wäre gern niedergesessen, weil er seine Wunden stark empfand. Aber Siegfried trieb ihn mit Gewalt weiter. Endlich konnte der edle Ritter die Jungfrau sehen. Florigunde brach in Tränen der Freude aus, als sie den tapferen Siegfried erkannte, und rief: „Diesen Ritter habe ich öfter bei meinem Vater gesehen. Oh, er wird mich erretten!“ Sie hieß ihn willkommen und wollte wissen, wie es ihrem Vater, der Mutter und den Brüdern in Worms ergehe. Siegfried berichtete mit knappen Worten, daß er bei seiner Abreise vor vier Tagen alle in guter Gesundheit verlassen habe. Darauf sprach er: „Viel tugendreiche Jungfrau! Laßt ab von Euren Tränen und schicket Euch zur Heimfahrt an, denn unseres Bleibens wird hier nicht lange sein.“— „Ach, mein edler Ritter“, klagte die Jungfrau, „ich habe erschreckliche Sorge um Euch. Ihr werdet mich nicht ohne Streit auf Leben und Tod von hinnen fuhren konnen, ich furchte sehr, ihr könnt dem Drachen nicht widerstehen, so tapfer ihr auch seid; er ist der leibhaftige Satan.“— „Wäre er auch wirklich der Satan“, rief Siegfried, „sollte ich alle Gefahren und Nöte umsonst aufgewendet haben? Nein, entweder ich kann Euch erretten oder ich will mein Leben verlieren. Helfet mir Gott im Himmel mit Herz und Hand anrufen, daß er mir siegreiche Stärke verleihe.“

Die Jungfrau betete darauf von Herzen recht inniglich zu Gott, daß er dem Ritter Kraft und Klugheit im Kampfe verleihe. Sie sagte auch dem Ritter aus dem Grunde ihrer Seele Dank, daß er so große Not um ihretwillen bestanden habe und noch bestehen wolle. Endlich gelobte sie ihm ewige Treue, könne er sie erretten. Siegfried wurde darüber hocherfreut und hieß die Jungfrau guten Mutes sein. Er werde, so Gott wolle, den Drachen wohl überwinden oder sein Leben für sie Lassen.

Jetzt meinte der Riese Wolfgrambar zu Siegfried „Siehe da vor dich; dort in der steinernen Wand wirst du eine überaus schöne Klinge finden, die der berühmteste Waffenschmied in der Welt mit hohen Künsten zugerichtet hat; nur mit ihr kann der Drache überwunden werden.“ Siegfried, begierig nach der Waffe, griff gleich darnach, ohne ein Übel zu besorgen. Da schlug der treulose Schelm noch einmal von hinten dem edlen Recken eine tiefe Wunde, so daß er kaum auf einem Fuß auf dem Drachenstein zu stehen vermochte. Doch rasch ermannte sich der Held und kehrte sich dem Ungetreuen mit Ingrimm und Entrüstung zu. Nun fing von neuem ein solches Ringen an, daß der Drachenstein davon gewaltig erzitterte. Die Jungfrau rang ihre Hande und raufte ihr goldenes Haar. Flehentlich schrie sie zu Gott, daß er doch dem Gerechten beistehen möge: „Du viel kühner Held, streite männlich für dein Leben und rette mich armes Mägdelein! Gedenke der großen Gefahren, die du bereits meinetwegen ausgestanden hast!“ Als Siegfried sie so ängstlich klagen hörte, tröstete er sie: „Sei getrost, meine Schöne, ich werde fur dich siegen!“ Siegfried faßte jetzt den Riesen in seinen Wunden und riß diese voneinander, daß Bäche von Blut vom Steine herabflossen. Da sank der Riese mit bebender Stimme zur Erde und jammerte flehentlich, der Ritter möge ihm doch das Leben schenken. Er bekannte dabei, daß er schon dreimal treulos geworden sei. „Weil ihr denn sehet, daß ich so kraftlos vor Euch liege, so werdet Ihr desto weniger von mir zu fürchten haben.“ Siegfried aber, der nunmehr die Jungfrau bereits in seiner Gewalt sah und den Schlüssel zum Drachenstein bei sich hatte, achtete seiner Bitten nicht und stürzte ihn vom Drachenstein herab, daß sein Gebein in einer tiefen Felsenschlucht zerschmettert ward.

Florigunde brach in ein lautes Freudengeschrei aus und dankte Gott, daß er dem Ritter so große Stärke gegeben. Siegfried aber nahte sich der Jungfrau, umfing sie züchtiglich und sprach zu ihr: „Nur guten Mut, meine Geliebte! Euer Leid soll bald in helle Freude verwandelt werden.“ Die Jungfrau pries den Ritter von Herzen mit vielen bewegten Worten; sie erinnerte ihn aber auch, daß diese Taten noch nicht genug seien. Sie dachte an den Drachen und fürchtete, dieser könnte dem Ritter größeres Ungemach bereiten als der Riese. „Das soll mein geringster Kummer sein“, lachte Siegfried übermütig, „jetzt macht mir nur eines Sorge: daß ich seit vier Tagen und Nächten weder gegessen noch getrunken, viel weniger der Ruhe gepflogen habe.“

Darüber erschrak Zwerg Egwald, der dem Ritter gefolgt war, sehr. Rasch sorgte er dafür, daß seine kleinen Vasallen dem Helden zu essen brächten, und er erbot sich auch, ihn und seine Geliebte wenigstens zwei Wochen lang mit Speise und Trank wohl zu versorgen. Als das Essen, so gut es in aller Eile zubereitet werden konnte, aufgetragen war, setzte sich Siegfried mit der Jungfrau zu Tisch, um neue Kräfte zu holen. Ehe sie aber begonnen hatten, siehe, da kam der ungeheure Drache über die Berge dahergeflogen und neun junge Drachen folgten ihm. Von ihrem Fluge wurde das Gebirge erschüttert, als ob es zusammenstürzen müßte. Das Mägdelein entsetzte sich so, daß ihm der kalte Angstschweiß über das Angesicht lief und alle Zwerge, die den Tisch bedienten, purzelten Hals über Kopf davon. Siegfried aber nahm, in Ermangelung eines Trockentüchleins, sein seidenes Gewand, wischte der Jungfrau sorglich den Schweiß ab und sprach darauf zu ihr: „Verzage nicht, teure Geliebte, Gott wird uns helfen!“ — „Ach, mein lieber Herr“,, erwiderte Florigunde, „stünde Euch die ganze Welt zur Seite, es ist um Euch geschehen.“ — „Nein“, tröstete sie rasch der Held, „so reden wohl Frauen, aber ein Ritter denkt anders. Solange Gott und ich bei dir sind, hat es keine Not.“

Während die Liebenden noch in solchem Gespräche waren, siehe, da kam der Drache wild dahergefahren. Das Feuer sprühte vor ihm her, daß ringsum der Fels in Flammen gesetzt wurde. Seine Augen leuchteten, daß es unheimlich war. Dieser Drache war vor Zeiten ein schmucker Jüngling gewesen. Ein böses Zauberweib hatte ihn aber verwunschen, so daß der leibhaftige Satan in ihn einfuhr, dem er fortan mit Leib und Seele dienen mußte. Dabei war ihm der menschliche Verstand geblieben, und er besaß trotz Tiergestalt seltene Gaben des Geistes. Die Jungfrau hatte er geraubt in der Absicht, sie nach fünf Jahren, da seine Verzauberung vorüber und er wieder ein Mensch geworden wäre, zu heiraten und ein neues Leben mit ihr zu beginnen.

Siegfried durfte nicht mehr länger in der Höhle verweilen. Er waffnete sich aufs beste, nahm sein Schwert zu sich, das ihm der Riese gezeigt hatte, und schritt damit den Drachenstein hinan. Als das Untier den Helden erblickte, griff es ihn mit solcher Gewalt an, daß der Stein davon erzitterte, als ob er zerspringen sollte. Siegfried wehrte sich, so gut er mochte, doch konnte er nicht verhindern, daß ihm der Drache mit seinen wüsten Klauen den Schild aus der Hand riß. Bei dem Tosen dieses Kampfes flohen alle Zwerge zitternd und bebend in die Tiefe der Wälder, denn sie befürchteten, der Felsen möchte einstürzen und sie sie zerschmettern. Es hielten sich damals auch zwei Brüder des Zwergenkönigs Egwald in dem Gebirge auf, die den großen Schatz ihres Vaters daselbst hüteten. Als die anderen Zwerge davonliefen, versteckten sie die Kleinode mit dem Gold in einem hohlen Stein, dicht an der Wand unter dem Drachenfels.

Wie Siegfried die furchtbare Hitze, die von dem Drachen ausging, nicht länger ausstehen konnte, weil sein Hornüberzug weich zu werden begann, floh er zu der Jungfrau in die Tiefe des Geklüftes, um zu warten, bis sein Horn wieder erhärtet wäre und sich die große Glut auf dem Stein etwas vermindert hätte. Flörigunde trat verzagt und verzweifelt zu ihm. Sie mußte ihrem Geliebten die schreckliche Nachricht überbringen, daß noch sechzig junge Drachen angeflogen seien und daß diese Übermacht den Helden unbedingt erdrücken werde. Siegfried dachte bei sich: „Ich muß dennoch mein Heil versuchen. Wer weiß: wenn die Not am allergrößten, ist oft Gottes Hilfe am allernächsten“ Mit diesem frommen und mutigen Gedanken warf er sich auf seine Knie und betete kurz und brünstig. Dann erhob er sich, in der Seele gestärkt, und stieg den Drachenstein unverzagt abermals hinan. Nachdem er dem Drachen mit seinen Jungen hart ins Auge gefaßt, nahm er sein Schwert mit beiden Händen und hieb mit allen seinen Kräften so grimmig auf das Untier ein, als ob er es in Splitter schlagen wollte. Während dieses grausigen Gefechtes flogen die jungen Drachen in heilloser Flucht wieder davon. Ihnen waren die Hiebe des Helden in alle Glieder gefahren. Nur der Alte blieb und schoß aus seinem abscheulichen Rachen blaue und rote Flammen in solcher Menge über Siegfried, daß er damit den Helden einige Male beinahe zu Boden geworfen hätte. Überdies schlug er mit seinem Schweife mit derartiger List, daß er Siegfried mehrmals darin verflocht und vom Drachenstein hinunter zu schleudern drohte. Der Ritter aber, der sich Gott empfohlen hatte, sprang jedesmal wieder unversehrt aus der Schlinge und trachtete nun mit Eifer, den Lindwurm seines Schweifes zu berauben. Er faßte in dieser Absicht sein Schwert und führte einen so glücklichen Streich auf das Ungeheuer, daß er ihm den Schweif vom Leibe trennte, als wäre derselbe nie dagewesen. Der Drache, seines Schweifes beraubt, geriet in fürchterlichen Zorn und überschlug den Ritter mit so schwerer Glut, als ob ein ganzes Fuder Kohlen auf den Stein geworfen würde. Siegfried jedoch faßte ein mutiges Herz und neue Kraft und führte einen zweiten Streich von solcher Wucht, daß er mit diesem den Drachen in zwei Stücke mitten auseinander hieb. Die eine Hälfte fiel vom Stein herab, die andere stieß Siegfried in den Abgrund nach. Die Jungfrau, die sich in der Tiefe der Felsenhöhle verborgen hielt, schloß aus dem furchtbaren Getöse und aus dem plumpen Fall des Drachen, daß er überwunden sein müsse. Daher lief sie voll Freude, Furcht und Erwartung den Stein hinan. Aber weh ihr! Da lag ihr Retter, von all der Anstrengung ganz erbleicht, auf dem Boden ausgestreckt. Seine Lippen waren kohlschwarz von der Hitze, und kein Zeichen des Lebens konnte sie an ihm entdecken. Nun hielt sich Florigunde aufs neue für verloren; sie befürchtete, die jungen Drachen würden zurückkommen, den alten Lindwurm zu rächen, und sie dabei ebenfalls töten. Als einzige Hoffnung fiel ihr noch das Zwerglein Egwald ein. Diesen zu rufen, wollte sie forteilen. Aber so sehr war sie erschöpft und in Ängsten, daß auch sie in Ohnmacht sank, nachdem sie nur wenige Schritte getan hatte. — Nicht lange lag der starke Ritter besinnungslos. Bald sammelte er seine Lebensgeister und schöpfte neuen Atem. Allmählich richtete er sich auf, erhob seine Augen und begann, Umschau zu halten. Da fiel sein Blick auf die schöne Jungfrau, die nicht ferne von ihm auf der Erde lag. Von Herzen erschrocken, raffte er sich auf und eilte zu ihr, stürmisch faßte er sie in seine Arme, rüttelte und schüttelte sie, ob sie nicht ein Lebenszeichen von sich geben mochte, und rief endlich voll Verzweiflung aus: „Ach, daß es Gott im Himmel erbarme! So soll ich für alle Gefahren und Nöte nichts davon tragen als eine tote Geliebte? Oh, welch schlechte Freude werde ich ihren Eltern bereiten! Weh mir, daß ich hierher gekommen bin!“

Während er so klagte, kam zu allem Glück der Zwerg Egwald hergeeilt und brachte eine Wurzel mit sich; die gab er Siegfrieden, daß er sie der Jungfrau in den Mund stecke. Von Stund‘ an erholte sich tatsächlich Florigunde. Langsam schlug sie die Augen auf richtete sich empor und umfing den Helden mit freundlichen Gebärden und unter Tränen des Dankes.

Jetzt sprach der Zwergenkönig zu Siegfried : „Der böse Riese Wolf- grambär hat uns Zwerge, deren über tausend sind, in diesem Berg bezwungen, daß wir ihm unser eigen Land verzinsen mußten. Davon habt ihr uns frei gemacht, tapferer Ritter! Des wissen wir Euch großen Dank und erbieten uns, Euch ewiglich zu dienen, so viel unser sind. Wir wollen Euch bis nach Worms am Rhein begleiten, denn wir sind aller Wege wohl kundig.“ Siegfried bedankte sich höflich für diese Freundschaft. Jetzt bat ihn der Zwerg, sich mit der Jungfrau tiefer hinein in den Berg zu begeben und sich bei ihnen mit Speise und Trank zu erlaben, dessen sie beide sehr bedürftig wären. Dort fanden sie eine treffliche Tafel vorbereitet und erquickten sich an einem köstlichen Mahl. Die Zwerge waren sehr geschäftig, sie trugen das Feinste herbei, was sie in der Eile zustande bringen konnten. Der König veranstaltete auch eine liebliche Zwergenmusik, die recht lustig anzuhören war. Als die Mahlzeit vollendet war, trug man noch allerlei Backwerk in goldenen Schüsseln auf, und die Gesundheit des edlen Ritters Siegfried und seiner Braut wurde von den Zwergen weidlich herumgetrunken. Die kleinen Männlein gebärdeten sich überaus fröhlich, tanzten und sprangen nach Herzenslust. Siegfried wurde aber bald sehr müde, denn er hatte in vier Tagen und drei Nächten nicht geruht. Darum bat er, man möge der Jungfrau und ihm ein Lager bereiten. Rasch sorgte König Egwald, daß die kostlichsten Betten zugerichtet wurden.

Mittlerweile nahm Siegfried die schöne Florigunde bei der Hand und sprach zu ihr „Allerliebste Jungfrau, nun saget mir, wie war Euch möglich, solange bei dem ungeheuren Drachen zu leben?“ Das Mägdelein aber erwiderte: „Und Ihr, mein edler Ritter, saget mir, wie seid Ihr in diesen Wald gekommen, was hat Euch bewegt, Euer Leben so frisch für mich zu wagen?“ Da erzählten sie einander nach Herzenslust ihre Abenteuer, und als die Jungfrau erfuhr, daß einzig und allein ihr junges Leben den Helden zu dieser gefährlichen Reise bewogen habe, flossen ihr die Tranen der Rührung über die Wangen. Sie zog einen schönen Ring mit einem köstlichen Demant von ihrem Finger und steckte ihn dem Ritter an seine Hand. Er aber, der eine so edle Gabe nicht unvergolten lassen wollte, nahm die güldene Kette, die ihm an König Gilbalds Hof im Turnier zuteil geworden war, von seinem Halse und hing sie der Jungfrau um. Mit diesen Geschenken ward ihrer beider Liebe bekräftigt und zum ewigen Bunde geschlossen.

Unter ihren trauten Gesprächen war die Sonne hinter den Bergen untergegangen; die schwarzen Nachtwolken überzogen den blauen Himmel, und Siegfrieds Augen wurden schwer vor übergroßer Mattigkeit. Wie die schöne Florigunde seine Müdigkeit sah, bat sie den Zwerg Egwald, für des Ritters Ruhe zu sorgen. Siegfried wurde darauf vor ein köstliches Bett geführt, das mit einer reichen samtenen Decke überzogen war, auf der sich die Gestirne des Himmels kunstreich eingewirkt fanden. Der Held lächelte und sprach: „Bisher habe ich unter dem gestirnten Himmel geschlafen, wie wohl wird es mir unter diesem samtenen Himmel schmecken!“ An einer anderen Stelle war Florigunden ein ebenso köstliches Lager bereitet. Da sagten sich die beiden gute Nacht, und als jedes sich Gott befohlen, schliefen sie ruhig bis an den Morgen.

Als dieser herannahte und die Sonne die jungen Strahlen über das erwachende Gebirge ergoß, stand Florigunde zuerst auf, schmückte sich, betete und dankte Gott. Da der Ritter noch ruhig schlief, setzte sie sich abseits von ihm und sang einen gar lieblichen Morgenpsalm. Von ihrem Singen erwachte schließlich Siegfried. Eilig legte er seine Rüstung an und ging, die Jungfrau in Züchten zu begrüßen. Bald stellte sich auch der Zwergenkönig ein und fragte seine Gäste freundlich, wie sie geschlafen hätten. Dann bat er sie recht dringend, länger bei ihm verweilen zu wollen. Aber Siegfried fand keine Ruhe mehr, sondern bat um raschen Urlaub. Sogleich ließ der Zwerg ein Frühstück bereiten, und nachdem sie sich ein wenig mit morgendlicher Speise gestärkt hatten, nahm Siegfried höflichen Abschied von König Egwald und seinen Brüdern. Diese aber erwiderten nicht den Abschied, sondern erklärten sich ihrer hundert bereit, um ihr dankbares Gemüt zu beweisen, Siegfried und Florigunde nach Worms zu begleiten. Der Held jedoch nahm nur König Egwalds Begleitung an. Der Zwergenherrscher setzte sich auf ein prächtiges Pferd und ritt vor ihnen her. Wie sie so des Weges zogen, da sagte Siegfried zu seinem kleinen Gefährten: „Ich habe auf dem Drachenstein gesehen, daß du auch in der Sternkunde wohl erfahren bist. So bitte ich denn, du wollest mir sagen, wie es mir künftig ergehen wird.“ Da wollte der Zwerg lange nicht antworten, aber Siegfried drang so heftig in ihn, daß er endlich sprechen mußte: „Ich fürchte sehr, es wird dir nicht zum Besten gefallen, was ich dir zu sagen habe. Wisse, daß du das schöne Weib, das an deiner Seite reitet, nur acht Jahre besitzen wirst, alsdann wird dir auf mörderische Weise dein Leben genommen werden. Aber dein Weib wird deinen Tod bitter rächen, und manch tapferer Held wird sein Leben verlieren müssen. Zuletzt wird auch dein Weib im Kampfe umkommen.“ — „Was Gott will, das geschehe“, erwiderte Siegfried, „da mein Tod so wohl gerächt werden wird, begehre ich auch den Täter nicht zu erfahren und frage nicht mehr weiter.“ Dieses Gesprach hatte Florigunde nicht gehört, denn sie ritt vor ihnen eine gute Strecke voraus. Als die beiden Männer die Jungfrau endlich eingeholt hatten, duldete Siegfried nicht, daß ihn der Zwerg länger begleite, sondern beurlaubte sich herzlich von ihm.

Siegfried gedachte jetzt des Schatzes, den er im hohlen Gestein entdeckt hatte und von dem er glaubte, daß er des Drachen oder des Riesen Eigentum sei, daher er ihn als seinen guten Fund betrachtete. Er kehrte deshalb mit der Jungfrau um und sagte: „Den Schatz, den ich in der Kampfpause ersah, wollen wir doch nicht zurücklassen. Habe ich den Drachenstein mit Gefahr meines Lebens gewonnen, so kann auch der Schatz niemand füglicher zukommen als mir.“ So nahm er denselben im guten Glauben seines Rechtes, legte ihn vorne auf sein Pferd, trieb dieses vor sich hin und zog die Straße, auf der er am vorigen Tag den Ritter erschlagen hatte. Sie waren noch nicht lange geritten, als unversehens aus dem Dickicht eine Rotte Mörder hervorbrach und sie umringte. „Oh, mein edler Geliebter“, rief Florigunde, „wie wird es uns ergehen?“ Doch Siegfried blieb ganz ruhig und tröstete sie: „Sei unbesorgt, Mädchen, die beißen uns nicht.“ Indessen umringten ihn sechs der Schelme, im ganzen waren es dreizehn. Der Ritter aber lachte dazu. „Wir wollen ihnen den Schatz geben“, riet ängstlich die Jungfrau, „so werden sie uns wohl sicher ziehen lassen.“ — „Ich achte des Schatzes wenig“, antwortete Siegfried, „aber den Schimpf möchte ich um alle Schätze der Welt nicht ertragen, daß ich mich vor solchen Burschen fürchten sollte.“ Jetzt umringten sechs andere Mörder die Jungfrau. Der dreizehnte nahm das Saumroß am Zaum und wollte mit dem Schatz davon. Bisher hatte der Ritter nicht ganz geglaubt, daß es ihr Ernst sei, sie zu überfallen; als er sich nun aber eines Besseren überzeugte, da rief er ihnen mit strengen Worten zu: „Ihr leichtfertigen Straßenräuber, was habt ihr im Sinne?“ — „Da hast du die Antwort auf deine Frage“, schrie einer der Räuber zurück und schlug damit gewaltig auf den Ritter los. Siegfried säumte nicht lange und hieb dem trotzigsten der Strolche mit dem ersten Streiche seines Schwertes den Kopf ab. Mit einem anderen Schlag spaltete er dem zweiten das Haupt bis auf die Zähne. Als die Wegelagerer diese Stärke und Wut des Ritters erkannten, wichen ihrer viere zurück. Die anderen sechs, welche die Jungfrau umringt hielten, wollten ihren Gesellen zu Hilfe kommen; aber sie wurden auch so empfangen, daß ihrer drei auf dem Platze blieben. Inzwischen war der Räuber, der das Pferd mit dem Schatze führte, weit vorangekommen. Doch Siegfried mit seinem edlen Roß holte ihn bald wieder ein und warf auch ihn grimmig zu Boden. Als er sich darauf wieder umwendete, hatten die übrigen Räuber, die indessen flüchtig geworden waren, die Jungfrau mit sich geführt. Als der Held dies ersah, ließ er das Pferd mit dem Schatze laufen und eilte der Stätte zu, wo er die schöne Florigunde verlassen hatte, um auf den Hufschlag ihres Pferdes zu kommen; denn die Zwerge hatten das Pferd so künstlich beschlagen, daß er den Hufschlag leicht erkennen konnte. Sobald er ihn fand, folgte er ihm nach und traf auch wirklich die Räuber in einem Gesträuch an. Mit grimmigem Zorne sprang er in ihre Mitte und machte sie alle nieder, bis auf einen einzigen. Dieser entlief in einen nahen Sumpf und blieb dort bis zum Halse stecken. Siegfried hielt es nicht der Mühe wert, diesen einen weiter zu verfolgen. Er rief ihm nur zu: „Wenn du einem Wanderer begegnest, Geselle, so sage ihm, daß du den gehörnten Siegfried gesehen, der die schöne Florigunde vom Drachenstein errettet hat, und daß er deine zwölf Helfershelfer gesäubert hätte, daß ihnen der Bart nicht mehr wachsen wird.“ Darauf ritt er mit seiner Geliebten davon. Als sie den Sumpf im Rücken hatten, sprach er zu ihr: „Schönste, wie hat Euch diese Kurzweil gefallen?“ — „Ritter, wenn das Eure Kurzweil ist, wer mochte dann mit Euch fechten?“ Unter solchen fröhlichen Gesprächen — der Verlust des Goldes schmerzte sie nicht — ritten nun beide fort und fort, bis ihnen der Rhein mit seinen grünen Wassern entgegenschimmerte.

Jetzt kam zu König Gilbald und seiner Gemahlin die freudige Botschaft, daß ihre Tochter Florigunde von dem Drachenstein erlöst und auf der Heimreise mit ihrem Befreier, dem kühnen Siegfried, begriffen sei. Freudig ließ der König seine ganze Ritterschaft aufbieten, damit sie seiner Tochter und dem Helden die gebührende Ehre des Empfanges erwiesen, ihnen entgegenzögen und sie mit großem Gepränge einholten. Zugleich lud er sie alle zur bevorstehenden Hochzeit ein, denn er wußte wohl, daß er seine Tochter dem Ritter Siegfried nicht abschlagen durfte. Nachdem die beiden mit Freuden eingeholt und mit Jubel empfangen wurden, zögerte man nicht lange mit der Vermählung. Sieghard, Siegfrieds alter Vater, kam geladen zu seines lieben Sohnes Hochzeit. Kaiser, Könige und Fürsten, dazu Ritterschaft und Adel sonder Zahl, fanden sich zusammen. Alle wurden wohl bewirtet und herzlich gehalten, wie dies an Königshöfen Sitte ist. Siegfried und die schöne Florigunde wurden in das Münster geführt und mit großem Gepränge in Gegenwart aller Fürsten und Großen getraut. Viele Tage dauerten darauf Ritterspiel und Festlichkeiten, bis endlich die edlen Gäste Abschied von Gilbalds Hof nahmen.

Siegfried gab ihnen noch sicheres Geleite bis zur Grenze des Reiches und behütete sie gegen freche Uberfälle böser Räuber.

Zu Hause hatten indessen die drei Bruder der schönen Florigunde, die Könige Ehrenbert, Hagenwald und Walther, einen schweren Haß auf ihren Schwager Siegfried geworfen, weil er in allen Kämpfen den Preis davongetragen hatte. „Alle Tage tragt er Siegeszeichen, Ringe und Waffen“, murrten sie untereinander, „damit prahlt er, als wäre er allein auf der Welt. So macht er uns im ganzen Lande verächtlich, das soll ihm einmal übel bekommen.“ Seitdem trachteten sie heimlich darnach, wie sie ihn töten konnten. Lange fanden sie aber keine Gelegenheit, bis endlich die acht Jahre um waren, von denen vor Zeiten der Zwerg Egwald dem Helden Siegfried geweissagt hatte. Siegfried merkte nichts von der Mißgunst seiner Schwager und lebte mit seiner Gemahlin in Frieden und guter Ruhe. Sie bekamen einen Sohn, den nannte er Löwhard. Der führte später mächtige Kriege mit dem Sultan und dem König von Babylon und bekam endlich die Tochter des Königs von Sizilien zur Frau, wie dies in anderen Büchern beschrieben steht.

So hatten sie acht Jahre lang in stolzem Frieden gelebt, da geschah eines Tages, daß Siegfried und seine Schwager miteinander auf die Jagd ritten, denn Siegfried war der Jagdlust sehr erlegen. Weil aber der Tag gar heiß wurde und Siegfried sich bald müde und durstig fühlte, so begab er sich an einen Brunnen im Walde und legte sein Angesicht in denselben, um sich zu erkühlen. Diesen Augenblick ersah einer der drei jungen Könige, der grimmige Hagenwald, und gedachte bei sich selber: „Eine solche Gelegenheit kommt nicht alle Tage, jetzt versäume es nicht, dich an deinem und deiner Brüder Feind zu rächen!“ Unter diesen dunklen Gedanken nahm er sein Seitenschwert und stieß es dem Siegfried zwischen die beiden Schulterblätter, da, wo sein Fleisch bloß und nicht von Horn überzogen war. So tief rannte er ihm das Schwert in den Leib, daß die Spitze in die Brust eindrang und der Held auf der Steile verschied.

Als Siegfrieds Gemahlin den Tod ihres Herrn, des königlichen Helden, erfuhr, fiel sie vor Kummer in eine schwere Krankheit, so daß die Ärzte an ihrem Aufkommen verzweifelten, der König Gilbald starb aber vor Jammer, und auch die Königin erlag schon nach vier Tagen einem auszehrenden Fieber. Leid über Leid zog in den Königspalast von Worms ein. Es wäre kein Wunder gewesen, wenn die schöne Florigunde auch gestorben wäre, doch schien es Gottes Wille zu sein, Siegfrieds Tod zuvor noch durch sie zu rächen. Ihre drei bösen Brüder hielten Siegfrieden eine herrliche Leichenfeier. Darauf wollten sie das Reich in Besitz nehmen und gemeinschaftlich beherrschen. Inzwischen war ihre Schwester, Siegfrieds Witwe, wieder so weit genesen und erstarkt, daß sie an ihre Rache denken konnte. Sie brach daher in aller Stille mit ihrem Söhnchen Löwhard auf und zog in die Niederlande zu ihrem Schwiegervater, dem sie die Ermordung seines Sohnes meldete und ihre bittere Not klagte. König Sieghard, der diese Botschaft mit großen Schmerzen vernahm, ergrimmte im Geiste und ließ Adel und Ritterschaft im ganzen Lande aufbieten, sammelte in Eile eine unzählbare Kriegsschar, und ehe sich die drei Könige zu Worms dessen versahen, waren sie mit einer blutigen Fehde überzogen. Viel tausend Helden fielen in diesem Kampfe, und auch der Verräter Hagenwad kam schimpflich um sein Leben. Denn als er sich lange gewehrt und zuletzt unfähig im Streite geworden war, suchte er sich unter allen Kriegsleuten des Königs Sieghard den verzagten Soldknecht Zivilles aus; diesem ergab er sich im Wahne, von ihm am ehesten Barmherzigkeit zu erlangen und bei ihm viel sicherer zu sein als bei einem anderen beherzten Krieger. Nach der Gefangennahme legte er sich kampfesmatt nieder und schlief ein. Zivilles aber besann sich nicht lange, zog sein Schwert und stieß es dem Schlafenden durch den Leib, daß er auf der Stelle tot liegen blieb. „So hab‘ ich dir vergolten“, sprach der Soldknecht, „was du meines gnädigen Königs Sohn getan, und habe dir mit dem Maße gemessen, mit dem du gemessen hast.“

Die anderen zwei Brüder Ehrenbert und Walther zogen ins Elend. Zuletzt mußte auch die schöne Florigunde sterben. Aber ihr und Siegfrieds Sohn Löwhard blieb am Hofe seines Großvaters, wurde dort in Gottesfurcht und ritterlichen Tugenden erzogen und gedieh zu einem herrlichen Helden.

Quelle: Im Reich der Sage; Otto Wutzel; Oberösterreichischer Landesverlag Linz;
4. Auflage 1958

© digitale Bearbeitung Norbert Steinwendner, St. Valentin, NÖ.



 
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