FRIEDRICH BARBAROSSA

Auf dem Kiffhäuserberge steht weithin sichtbar ein Turm, der Bergfrit der Kaiserburg, die einstmals dieser Berggipfel trug und deren Trümmer eine Strecke unter dem Turme noch zu sehen sind. Diesen Turm nennt alles Volk in der güldenen Aue den „Kaiser Friedrich“.

Da der wirkliche Kaiser Friedrich, zubenamt der Rotbart, noch lebte und vom Papst in den Bann getan ward, schlossen sich ihm alle Kirchen und Kapellen, kein Priester durfte ihm die Messe lesen. Damals legte der Held ein Gewand an, das ihm aus India verehrt worden war, nahm ein Fläschchen mit duftendem Wasser zu sich, bestieg sein Leibroß und ritt tief in einen dunklen Wald hinein. Nur wenige seiner Getreuen durften ihm folgen, aber auch diesen entschwand er bald, denn in dem tiefen Walde drehte er ein wunderbares Fingerlein und wünschte sich fort aus ihrem Angesicht. Rasch verlor er sich aus der Herren Blicke und ward von ihrer keinem mehr gesehen. Auf diese seltsame Art ist der große Kaiser verschwunden.

Alte Bauern freilich wissen es anders. Sie haben ausgesagt, er lasse sich noch bisweilen als ein Waller erblicken und habe verkündigt, er werde einst wieder auf römischer Erde gewaltig werden, die Bösen stören und das Heilige Grab in die Herrschaft der Christen bringen, daß nimmermehr ein Schwert darum gezogen werden müsse; dann werde er seinen Schild an den Ast eines dürren Baumes hängen und guten Frieden aufrichten auf dem Lande und auf den Vesten. Das gleiche Recht werde er allen bringen, die heidnischen Reiche sich unterwerfen, die Kraft und Macht des Bösen auf Erden niederringen. Sobald all das vollbracht sein werde, dürften die Menschen auf gute Jahre rechnen und der dürre Baum werde wieder ergrünen.

So klangen Sage, Lied und Prophezeiung aus grauer Zeit, und die darauffolgenden Menschen schmolzen Kaiser Friedrich des Rotbarts Heldengesicht mit dem Bilde Kaiser Friedrichs II. zusammen, denn auch dieser hatte sein Land verlassen, kehrte nimmer wieder. Und obschon er sicher tot war, so glaubte das treue Volk doch noch, er lebe, und harrte ohn‘ End seiner Wiederkehr. Da er aber nicht zurückkam in sein Reich jenseits der Alpen, sagte das Volk, Kaiser Friedrich habe sich mit seiner Tochter, mit all seinem Hofgesinde, mit seinen Wappnern und Zwergen tief in den Schoß der alten Kaiserveste Kiffhäuser verwünscht, und da sitzte er schlummernd, mit langem Bart, der um einen steinernen Tisch gewachsen ist, bis heute zweimal herum, wann aber der Bart das drittemal herumlange, dann werde der Kaiser wiederkehren und das Abendland neuerlich behaupten. Um den Berg, in dessen Innerem der Kaiser im Halbschlummer sitze, fliegen fort und fort die Raben und nur alle hundert Jahre sendet der Kaiser einen Zwerg an das Tageslicht, daß er frage und schaue, ob die Raben noch fliegen. Wenn der Kleine darauf rückkehrt und kündet, daß sie noch in der Luft seien, da neigt der Kaiser trauriger denn zuvor ein greises Haupt und zwinkert wieder mit den Augen im halben Schlummer.

Viele haben schon den Kaiser Friedrich sitzen sehen in seiner unterirdischen Halle, bald alleine, bald im Kreise seiner Wappner, bald mit der Prinzessin, seiner Tochter. Manchem Schäfer ist in früheren Zeiten ein Zwerg aus dem Kaiserberge erschienen, manchem die Tochter gar selbst.

Ein Schäferknabe pfiff einst auf seiner Schallmeie ein frohliches Lied, da erhob sich hinter ihm ein ehrwürdiges Greisenhaupt und fragte mit milder Stimme: „Wem hat dies Lied gegolten, Knabe?“ — Der Knabe rief kecklich: „Kaiser Friedrich hat‘s gegolten.“ Da winkte der Greis dem Knaben, daß er ihm folge, und der Knabe ward hinabgeführt in das Reich der Zwerge; und unten, wo alles voll Schätze lag, standen die Wappner und neigten sich tief vor ihrem Alten. Da sah der Schäfer mit jähem Erschrecken, wer sein Führer war. Der Kaiser aber sprach: „Dieser Knabe hat Uns geehrt!“ — Er zeigte ihm darauf der unterirdischen Hallen Pracht und Glast, brach von einem Gefäß den Fuß und gab diesen dem Knaben mit den Worten: „Gehe und künde es droben: wann die Zeit sich erfüllet, daß Gott der Herr aus diesem Bann Uns erlöset, dann sollen alle Menschen frei werden.“ Der Schäferknabe kam ans Tageslicht zurück, er wußte nicht, wie ihm geschehen. Des Kaisers Friedrich Gabe war von purem Golde.

Ein anderer Hirte, aus Sittendorf, stand droben an dem Kaiser-Friedrich-Turm, voll Kummer, denn er hatte ein Liebchen, das er nicht heiraten konnte, weil er zu arm war. Da sah er eine schöne blaue Blume im Winde nicken, die pflückte er und steckte sie auf seinen Hut. In diesem Augenblick schaute aus des Turmes Mauerspalte ein Gezwerg, das winkte dem Hirten, und er kroch ihm auch nach. Drunten im Berg sah er viele kostbare Steine, von denen er einige aufhob. Über dem Bücken nach ihnen entfiel ihm die Blume. Im Zwielichtdämmer sah er in der Tiefe der Bergeshöhle den Kaiser Friedrich sitzen, aber es grausete ihn, und er wandte sich zurück zur Erde. — „Vergiß das Beste nicht!“ rief der Zwerg ihm zu, doch der Hirte enteilte ohne fernern Aufenthalt. Droben verhielt er sich still, außen am Turme, und wieder erklang des Zwerges Stimme aus dem Gemäuer: „Wo hast du deine Blume?“ — Der Hirte nahm flugs den Hut ab und sah, daß ihm die Blume fehlte. „Ach — verloren!“ jammerte er. — „Du großer Tor!“ antwortete auf diesen Seufzer der Zwerg. „Mehr als der ganze Kiffhäuser war die Blume wert!“ — und verschwand. Am Abend kam der Hirte zu seinem Mädchen und erzählte ihr, was ihm tagsüber begegnet war. Dabei dachte er an die Steine, zog sie aus der Tasche und, o Freude! sie waren klingendes Gold.

Einem armen Schäfer, der gar artig auf seiner Flöte blies, erschien am „Kaiser Friedrich“ ein Zwerglein und fragte ihn, ob er wohl den verwünschten Kaiser sehen und ihm ein Stücklein aufspielen wolle? — Der Schäfer sagte gerne zu, stieg mit dem Zwerg in die Tiefe hinab und blies. — Da hob der Alte sein Haupt aus dem Schlummer und fragte: „Fliegen die Raben noch um den Berg?“ — „Sie fliegen noch“, antwortete der Schäfer. Darauf seufzte der Kaiser und sprach traurig: „Also nochmals hundert Jahre. schlafen!“ — und nickte bei diesen Worten ein. Der Zwerg führte jetzt den Schäfer wieder zur Erdoberfläche empor, gab ihm aber gar nichts für sein Spiel. Der Hirte war ein wenig enttäuscht und dachte bei sich, daß im Geisterreich auch Dürrhof sei und die Geber gestorben, die Schenker verdorben sein müßten. — Um den Turm lag des Schäfers kleine Herde. Klein? — Wie war sie doch in der Zwischenzeit so groß geworden! Der Schäfer zählte und zählte, von eins zu zehn und mehr, von zwanzig bis fünfzig, und immer mehr, hundert Stück und nochmals mehr. Dieser Reichtum an Tieren war also jetzt sein, das war des Kaisers Friedrich Gabe für das Flötenspiel.

Ein Kornfuhrmann aus Reblingen im Rieht, der Getreide nach Nordhausen fahren wollte, ward durch einen Zwerg veranlaßt, das Korn in den Kiffhäuserberg zu fahren und zum Preis dafür von dem Golde zu nehmen, das im unterirdischen Gewölbe in vielen Fässern offen zu Tage lag. Er sollte aber nicht mehr einstecken, als der Marktpreis für das Korn sei. Der Fuhrmann handelte danach und brachte uraltes Geld aus dem Berg mit heraus, Geld, das viel mehr an Wert hatte als die Münze, die eben im Reiche galt. Ein anderer, aus Gehofen, dem das Gleiche unter der gleichen Bedingung begegnete, sackte sich die Taschen mächtig voll; der hatte dafür, als er wieder zu Tage kam, nur uralte verwitterte Münzen von Blei, rannte deshalb zum Berg zurück, rief nach dem Zwerge und bat ihn flehentlich, er möge ihm verzeihen und nur den Wert des Kornes geben; es ließ sich aber kein Zwerg mehr sehen. Da begann das Bäuerlein zu fluchen und zu wettern, was das für eine Tausendteufels Lumpenwirtschaft sei, daß man hier das Korn um bleierne Blecherlinge kaufe und den alten Kaiser auf die Leute loslasse, der Donner solle das ganze kaiserliche Geld in den Erdboden verschlagen! Dies Fluchen bekam aber dem Bäuerlein erst recht schlecht. Denn von unsichtbaren Händen erhielt er so viele Maulschellen, mehr als zuvor wertlose Münzen.

Kinder und Erwachsene fanden in den Ruinen oder am Wege oft hingebreitete Flachsknotten, bisweilen selbst zur Winterszeit. Musikanten, die in Winternächten spielend am Kiffhäuser vorüberzogen, empfingen gerne grüne Zweige. — Wer solche Dinge fand oder erhielt und ihrer nicht mißachtete, dem wurden sie zu Gold. Durstenden wurden Getränke beschert. Einer Burschenschar zum Beispiel, die fröhlich bei ihrem Bier Kaiser Friedrichs Gesundheit trank, erschien ein kleiner Kellner mit goldenem Becher und zwei Flaschen besonderen Weines, traktierte sie alle damit überreichlich und schenkte dem, der die Gesundheit ausgebracht, den Becher.  

Glückliche Neujahrssänger fanden auf dem Berge mitten im Winterschnee eine Kegelbahn und Männer, die sich mit dem Kegeln vergnügten; sie erhielten von ihnen einen Kegel und als sie diesen zu Tale brachten, war er ganz aus Gold. — Einer Maid ward im Pfänderspiel scherzend aufgegeben, sie solle auf den Kiffhäuser gehen und Kaiser Friedrich drei Haare aus dem langen, roten Barte ziehen. Die Dirne ging und kam nach einer Stunde wieder, hatte auch drei lange Haare bei sich, brennend rot. Sogleich wickelte sie dieselben sorgsam in Papier und hob sie auf. Als sie nach einem Jahre über die Lade kam und das Papier in die Hände nahm, war es so schwer, ach, so schwer. Sie öffnete es — die drei Haare waren in drei zolldicke Goldstangen verwandelt.

Und solcher Sagen von des Kaisers Friedrich Gaben ließe sich allein ein Buch voll schreiben.

 
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