Das Bergmännlein als Schafhirt

Auf eine Alpe (Baden) kam jährlich ein kleines altes Bergmandl, um die Schafe zu hüten. Dies that er mit grösster Sorgfalt, sodass die Herde unter seinen Händen sich wunderbar vermehrte. Die Schwaigerin trieb täglich die Schafe bis zu einem Stocke, der sich in einiger Entfernung von der Hütte befand. Dort sass das Mandl, nahm die Herde in Empfang, um erst abends damit wieder in Vorschein zu kommen. Dann trieb es die Herde wieder bis zum Stocke, wohin dann die Schwaigerin jedesmal eine Schüssel voll süsser Milch setzte, die dann das Bergmandl begierig ausass und verschwand. — Als der Herbst kam, beschloss der Almbauer, das Bergmännlein für seinen erfolgreichen Eifer zu belohnen. Weil es nun allweil so abgeschabt und zerrissen gekleidet war, musste ihm der Schneider ein ganz kleines, recht nettes, graues Gewand mit rothen Aufschlägen machen. Dieses legte die Schwaigerin auf den bewussten Stock und lauschte neugierig in der Hütte, was das Mandl thun werde. Das Bergmännlein kam und als es sah, was man ihm bescheert hatte, stutzte es, näherte sich verwundert dem Stocke, nahm bald dies, bald jenes zur Hand, musterte es mit wohlgefälligen Blicken und zog endlich alles an. Hierauf begann es zu hüpfen und zu tanzen um den Stock und sang:

„Ich bin ein Edelmann,
Ich nicht mehr Schäflein hüten kann.“

Damit war es verschwunden, um n i e wieder Schaferl zu werden.

Quelle: Hinterstoder mit dem Stoderthale; Kleine Orientierungs-Darreichung von A. N. Gerhofer; Selbstverlag; Linz, Druck von S. Tagwerkers Witwe [um 1891]

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