Die Kirche in Maria Neustift

Mitten in den grünen Voralpen liegt auf einem 607 Meter hohen Berge, umkränzt von bedeutend höheren Bergen, der liebliche Wallfahrtsort Maria Neustift mit seiner im Jahre 1124 gegründeten, aber im Laufe vieler Jahre mehrmals umgebauten Kirche. Das Landschaftsbild von Maria Neustift und seiner Umgebung ist eines der schönsten und reizvollsten in unserem an schönen Landschaftsbildern so reichen Vaterlande Österreich.

Wie fast jede alte Kirche, deren Gründung weit in das Mittelalter zurückreicht, seine mehr oder minder anziehende Gründungssage hat, hat ebenfalls auch die Wallfahrtskirche Maria Neustift ihre alte interessante, vom Schimmer der Vergangenheit umkleidete Gründungssage, in der Wahrheit und Dichtung ihren gleichmäßigen Anteil haben.

Vor langer Zeit, so berichtet die Sage, erhob sich auf der Hauser-Höhe in der Ortschaft Ertl die feste Burg Hinterhaus, auch Hartwigstein genannt. Auf dieser Burg lebte der Ritter Oswald mit seiner Familie und seinem Burggesinde. Sein Nachbar war der Ritter von Gleiß, dessen Burg am Fuße des 704 Meter hohen Sonntagberges, rechts des Ybbsflusses auf einem ins Flußbett vorspringenden Felsblock trotzig sich erhob.

So trotzig, wie ihre Burgen ins Land lugten, waren auch die Ritter, zwei Brüder, die seit langem schon in grimmiger Fehde lebten und jede Bruderliebe vermissen ließen. Eines Tages, als die beiden Ritter mit ihren Reisigen durch das Land streiften, begegneten sie sich auf einer lang hingestreckten Hochfläche des 895 Meter hohen Freithofberges. Sogleich gingen sie mit ihren Waffen gegeneinander los und es kam zu einem harten Ringen. Der Ritter Oswald mit seinem kleineren Gefolge war dem robusteren und gewalttätigeren Ritter der Burg Gleiß und seinen zahlreicheren Kämpen nicht gewachsen und fürchtete zu unterliegen und getötet zu werden. Aus dieser Todesgefahr wurde er mit seinen Mannen auf wunderbare Weise durch unerwartet plötzlich einfallenden dichten Nebel gerettet; er konnte sich mit seinen Leuten ungesehen in Sicherheit bringen.

Aus Dankbarkeit für seine wunderbare Rettung wollte der Ritter Oswald von Hinterhaus auf dem Freithofberge eine Kirche bauen. Bauholz wurde auf eine hiefür geeignete Stelle gebracht. Als die Zimmerleute die Arbeit begonnen hatten und schon viele Abfälle den Werkplatz bedeckten, kamen in Scharen Raben geflogen, lasen mit ihren starken Schnäbeln Holzspäne auf und flogen damit davon. Die Handwerksleute wurden auf das sonderbare Tun dieser schwarzen Vögel aufmerksam und verfolgten ihren Flug. Da sahen sie, daß die Raben alle Späne weit unten auf eine bestimmte Stelle zusammentrugen, und zwar dorthin, wo heute die Kirche von Neustift steht.

Merkwürdigerweise waren, obwohl es August und daher heißer Sommer war, die Späne mit lichtem, weichem Schnee bedeckt. Das wurde dem Ritter Oswald mitgeteilt. Der sah darin ein Zeichen des Himmels, gebot sogleich, den Bau der Kirche auf dem Freithofberg, auf dem schon einige Leichen in einer Umfriedung beerdigt worden waren, einzustellen und die Kirche auf dem Platz zu errichten, den die weisenden Vögel, die Raben, gewiesen hatten und wo sie auch heute steht. Und weil die Späne, die von den Raben herzugetragen worden, mit Schnee bedeckt waren, wurde die von Ritter Oswald gestiftete Kirche "Maria Schnee zu Neustift" genannt.

Quelle: Sagen und Legenden von Steyr, Franz Harrer, Verlag Wilhelm Ennsthaler, Steyr, 3. Auflage 1980,
ISBN 3-85068-004-5

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