Die Entstehung der Burg Losenstein

Der Name des in den Bergen der Voralpen eingebetteten Gebirgsortes Losenstein, mit Recht die Perle des Ennstales genannt, wird hergeleitet von der auf schroffem Felsen malerisch liegenden Ruine der einst mächtigen Burg Losenstein.

Sie war die einzige des langen, reizvollen Ennstales zwischen Steyr und der nahe der oberösterreichischen-steiermärkischen Grenze auf grünem, isoliertem Bergkogel thronenden 606 Meter hochgelegenen Burg Gallenstein bei St. Gallen, die ja heute auch schon Ruine ist.

Hoch droben am Rande des steil, fast senkrecht aufstrebenden Felsens steht trauernd das ruinenhafte Gemäuer der einstigen Burg Losenstein, die durch Jahrhunderte Sitz eines einst blühenden Geschlechtes fürstlichen Stammes war; sie ist eine der ältesten und bedeutendsten Hochburgen des Landes gewesen. Wann die Burg entstand, ist unbekannt und in tiefes Dunkel gehüllt.

Aus Urgroßvaters Zeiten herüber klingt eine Sage, die Merkwürdiges über die Entstehung der Burg Losenstein zu berichten weiß. Einst, so erzählt sie, kam ein junger Ritter von weither in die Gegend des heutigen Losenstein geritten. Es war schon spät am Abend und die Sonne war längst untergegangen. Die Scheibe des Mondes stand hoch am Himmel und warf ihr dämmerig-grünes Licht über die dunkelbewaldeten Felsenberge und auf den Ennsfluß, dessen Wasser mit Lichtgefunkel geheimnisvoll tief drunten vorüberrauschte.

Der Ritter mit seinem Roß, von der langen und weiten Reise müde, sah sich um nach einer Unterkunft; aber ringsherum war kein Haus zu sehen, das für Roß und Reiter des Nachts Obdach geboten hätte. Da entschloß sich der müde Reitersmann, auf dem bewaldeten Felsenkogel, der aus dem Tale schroff aufragte, zu übernachten.

Als der Ritter am Morgen zu einer Zeit erwachte, da die Berg­ und Flußlandschaft von der aufgehenden Frühsonne rötlich beleuchtet war, sah er mit Erstaunen und Freude, daß sie sehr schön und lieblich sei. Sie gefiel ihm sosehr, daß er hier blieb und beschloß, sich auf dem hoch aufragenden, oben flachen Felsenkogel, eine Burg zu bauen. Als sie fertig war, gewaltig und schier uneinnehmbar auf luftiger Höhe stand, nannte er sie "Los am Stein", welcher Name sich im Laufe der Zeit in den Namen Losenstein veränderte. So die Sage.

Es ist, wie gesagt, nicht bekannt, wann die Burg entstanden ist. Aber das eine ist gewiß, daß lange bevor die Burg erbaut ward, auf dem frei stehenden Felsenberge ein altheidnischer Kultplatz gewesen ist, wo man in femen Zeiten den Göttern geopfert und Gericht gehalten hat, und wo auf dem mit einem weißen Tuch bedeckten Opferstein die Lose geworfen wurden, Holzstäbchen mit eingeritzten geheimnisvollen Zeichen und Runen. Davon mag auch der Name Losenstein herrühren, den der Erbauer der Burg, der adelige Grundherr der Gegend, sich und der Burg gegeben hat. Daß die Erinnerung an das Loswerfen auf dem Opferstein da droben auf dem alten Kultberge noch nicht erloschen ist, beweist der Umstand, daß vor mehreren Jahren ein Bauer zum Verfasser dieser Zeilen sagte, es wäre da droben auf dem Burgplatz "a g'wissa Stoa", bei dem man losen und alles hören könne. Auf die Frage, wo der gewisse Stein wäre, wußte der gute Mann keine Antwort. Aber jedenfalls meinte er unbewußt den Opferstein.

Quelle: Sagen und Legenden von Steyr, Franz Harrer, Verlag Wilhelm Ennsthaler, Steyr, 3. Auflage 1980,
ISBN 3-85068-004-5

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