Der Lindenwirt in der Steinwänd

In der Nähe des Reitnergrabens in Kleinraming, hart an der krummen Straße, die durch das romantische Ramingtal nach Maria Neustift zieht, steht das große Wirtshaus in der Steinwänd mit der mächtigen Linde, die schon ihre tausend Jahre alt sein soll. Die Linde hat schon viele ihrer starken, einstmals weitaus greifenden Äste verloren; aber aus dem hohlen Innern des gewaltigen Baumes, sozusagen aus dem Mutterschoß, ist im Laufe der Jahre ein junger Baum hervorgewachsen, der im Verein mit den Ästen des Mutterstammes den Gästen des in der Nähe stehenden Wirtshauses im Sommer kühlen Schatten spendet. Den Stamm der mit ihren knorrigen Wurzeln im Boden fest verankerten Baumruine vermögen fünf Männer kaum zu umspannen. Die Örtlichkeit heißt, wie gesagt: "In der Steinwänd".

Der Fremde würde aber vergeblich nach Steinblöcken oder Steinwänden Ausschau halt; er fände nur grünes, fruchtbares Gelände. Wahrscheinlich dürfte vormaleinst eine Au hier gewesen sein, durch deren Dämmerdunkel der Ramingbam sein geheimnisvolles Lied gesungen; die Au ist längst verschwunden, der Bach aber eilt heute noch in seinem alten steinigen Bette den freien Talgrund entlang der Enns zu.

Wie es heißt, soll in alter Zeit unter dem Lindenbaum Gerichtstag gehalten worden sein und es ist wahrscheinlich, daß hier ein Opfer- und Thingplatz unserer germanischen Vorfahren gewesen ist, denn der Name des Ortes deutet darauf hin.

Beim Lindenwirt in der Steinwänd hat sich im Laufe der Zeit so manches zugetragen. So weiß die Sage unter anderem zu berichten:

In der Franzosenzeit kamen eines Tages rotbehoste französische Soldaten in das Lindenwirtshaus und wollten da brandschatzen. Damit die wüsten Gesellen Ruhe gaben, schüttete die Wirtin ein Sackerl voll Silbergeld auf den Tisch hin, daß die schimmernden Münzen klingend auf der Platte herumkollerten. Freudestrahlend haschten die Franzosen nach den blinkenden Silbermünzen und ließen sie lachend in ihre Taschen verschwinden.

Brandschatzend zogen die Franzosen durch unsere schönen heimatlichen Gaue. Größere und kleinere Trupps durchstreiften auch das Ramingtal. Eines Tages wurde im Lindenwirtshaus einer der beutelüsternen Franzosen von den über die Bedrückungen erbosten Bauern erschlagen. Der Sohn des Totengräbers von Sankt Ulrich, der "Graber-Sepp", wollte ihn mit Hilfe einiger Bauern im Misthaufen vergraben, was aber die Wirtin nicht zuließ. Er wurde dann im Schmiedpühringer-Hölzl bei der waldumrauschten "Toifölacka" im Reitnergraben verscharrt.

Der Graber-Sepp zog aus Übermut die Uniform des Franzosen an, bestieg auch dessen Roß und ritt gegen Kürnberg hinauf. Der Bauer Forster in Kürnberg, der ihn in dieser Verkleidung selbstverständlich nicht erkannte, wollte ihn erschießen. Schon hatte er das Gewehr auf ihn angelegt, da rief ihm der Graber-Sepp noch rechtzeitig zu: "He, he, Vöda, halt a weng aus; bin's ja i!" Der erstaunte Bauer Forster hätte den "Franzosen" ganz kalt vom Roß geschossen.

Quelle: Sagen und Legenden von Steyr, Franz Harrer, Verlag Wilhelm Ennsthaler, Steyr, 3. Auflage 1980,
ISBN 3-85068-004-5

© digitale Bearbeitung Norbert Steinwendner, St. Valentin, NÖ.

 
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