Der versteinerte Hund

In den schrecklichen Zeiten des Faustrechtes überfiel ein Ritter von Strechau das kleine Schloß Friedstein im steirischen Ennstal, tötete dessen Besitzer und führte das schöne Schloßfräulein Gabriele gefangen nach Strechau. Heimlich folgte den Spuren der Entführten der alte, treue Schloßhund. Da aber das Burgtor versperrt war, und nur selten geöffnet wurde, verblieb er in dessen Nähe im Gebüsch. Das gefangene Schloßfräulein wurde ehrenvoll behandelt. Zu ihrer Bedienung erhielt sie eine eigene Zofe.

Eines Tages schickte der Burgherr von Strechau seiner Gefangenen ein neues, schönes Kleid mit wertvollem Aufputz, einem Federbarett, das mit Perlen reich besetzt war, und eine goldene Halskette mit kostbaren Edelsteinen. In diesem Festkleid und Schmuck sollte sie bei der nächsten Tafel erscheinen. Alles freute sich schon darauf. Gabriele bat ihre Zofe, sie möge einmal zuerst das neue Kleid und den schönen Schmuck anlegen, denn sie wollte vorher an ihrer Dienerin sehen, wie ihr etwa das wertvolle Kleid stehen würde. Die Zofe willigte ein und legte das kostbare Gewand an. Gleichzeitig zog aber das gefangene Schloßfräulein die Kleider ihrer Zofe an, setzte sich wie zum Scherz die Samthaube der Dienerin auf ihr Haupt und drückte sie tief über die blondgelockten Haare in die Stirne. Bei diesem Kleiderwechsel ließ Gabriele einen feingestickten Handschuh wie zufällig beim offenen Fenster in den Burggraben fallen. Schnell erbot sich die Zofe, den Handschuh ihrer Herrin zu holen. Doch Gabriele wehrte es ihr und sagte: „Das darfst Du in dieser Kleidung nicht tun, denn die Burgwächter würden dich dann für mich halten.“ Und schon war die gefangene Gabriele in der einfachen Kleidung ihrer Dienerin zur Tür hinaus, sprang schnell über die Treppen hinab zum Schloßtor und rief mit verstellter, weinerlicher Stimme: „Ein kostbarer Handschuh des Schloßfräuleins ist in den Burggraben gefallen!“ Ohne Bedenken öffneten die Wächter das Burgtor und ließen die vermeintliche Zofe hinaus. So war Gabriele, das gefangene Schloßfräulein, wieder in Freiheit. Nun empfahl sie sich dem Schutze Gottes und floh eilends den Berg hinab. Kaum hatte der Hund die Flucht seiner Herrin bemerkt, sprang er ihr nach und war nicht mehr von ihr wegzubringen. Der Weg führte die Flüchtende über die Kaiserau in die Johnsbacher Berge. Als man nun in Strechau die Flucht bemerkte, zogen die Ritterknechte nach allen Seiten zu Pferde aus, um das entflohene Schloßfräulein wieder heimzuholen. Aber vergeblich. Gabriele hielt sich immer, treu von ihrem Hund geleitet, abseits von den Hauptwegen, so daß man sie nicht gewahrte. Endlich sank sie auf der Jägerhofer-Alm im Gesäuse vor Hunger und Frost todmüde zusammen. Es war Spätherbst. Kein Mensch war mehr auf der Alm und das Vieh schon längst heimgetrieben. Ein Holzknecht, der zufällig an dieser Stelle vorbeiging, fand Gabriele sterbend, von ihrem treuen Hund bewacht. Eine Hilfe war unmöglich und so betete der Holzknecht mit ihr bis zum letzten Atemzuge. Hierauf ging er nach Johnsbach, holte den Geistlichen und einige Leute und stieg wieder auf die Alm zur Verstorbenen. Da fanden sie nun auch den Hund tot an der Seite der Herrin liegen. Gabriele wurde im Friedhof zu Johnsbach begraben, doch den toten Hund ließ man unberührt liegen. Im Laufe der Zeit versteinerte das treue Tier, und die Formen des „versteinerten Hundes“ sind noch heute an dieser Stelle zu sehen. Des Nachts aber, wenn freche Wilddiebe in den Bergwäldern herumschleichen oder schlimme Burschen die Sennerinnen zu sündhaftem Tun aufsuchen wollen, da sprüht der „versteinerte Hund“ aus seinen Augen und seinem Rachen helles Feuer, so daß die bösen Gesellen von der friedlichen Alm flüchten. Um so lieber verweilen in der Nähe die Gemsen, am sogenannten „Gamsbrunnen“.

Quelle: Admont und das Gesäuse in der Sage; DDr. P. Adalbert Krause O.S.B. Professor in Admont; Oberösterreichischer Landesverlag Ges.m.b.H., Linz; ohne Jahresangabe

© digitale Bearbeitung Norbert Steinwendner, St. Valentin, NÖ.

 
designed by © Norbert Steinwendner, A 4300 St. Valentin