Der Wirbelschuster

Vor etwa dreihundert Jahren lebte in Grein ein Schuster mit seiner Familie, die er durch seiner Hände Arbeit redlich ernährte. Da aber die Familie immer zahlreicher, der Verdienst jedoch geringer wurde, so kehrten bald Not und Armut in das Haus des Schusters ein. Die Entbehrung des Notwendigsten verlockte ihn schließlich, daß er sich am Eigentume seines Nachbarn vergriff. Der Diebstahl wurde entdeckt und der Dieb sollte dem damaligen Gesetze gemäß mittels des Stranges hingerichtet werden.
Da er aber Vater einer zahlreichen Familie war und seine Richter wußten, daß er infolge großer Not und Entbehrungen die Hand nach fremdem Gute ausgestreckt hatte, so änderten sie das Urteil dahin ab, daß ihm das Leben geschenkt werden solle, wenn er sich auf den über den Donauwirbel ragenden Felsen setze und daselbst solange verweile, bis er ein Paar neue Schuhe gemacht hätte.

Diese Aufgabe war keineswegs leicht ausführbar, denn die Stelle, auf welcher der Schuster die Arbeit verrichten konnte, war nur eine schmale Felsenkante. Bei der geringsten Bewegung konnte den Armen der Schwindel ergreifen und er mußte in die fürchterliche Tiefe stürzen.

So sehr aber liebte er die Seinen und das eigene Leben, daß er das grauenvolle Anerbieten annahm, den gefährlichen Felsen bestieg und seine Arbeit wagte. „In solch einer lebensgefährlichen Stellung hat wohl noch nie ein Schuster Schuhe besohlt,“ schreibt ein Zeitgenosse jener Begebenheit.

Zahlreiches Volk stand unten am Ufer des Stromes und schaute der unheimlichen Arbeit zu. Aber glücklich bestand der Schuster das Wagnis. Die Schuhe waren fertig und mit einem Freudenschrei verließ er die schaurige Stelle.
Die Schuhe hoch in den Händen haltend, eilte er unter dem Jubel des Volkes seinen bange harrenden Angehörigen entgegen. Von da an bekam er genug Arbeit und er war tätig und fleißig. So brachte er es wieder vorwärts und ist auch als ehrlicher Mann gestorben.

Nach Konrad Richter

Quelle: Österreichisches Sagenkränzlein

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