Das Karesberger Wichtelmännchen

Zu den Karesbergern im Böhmerwalde kam einmal ein Wichtelchen und sagte, es wolle ihnen die Ziegen hüten, sie dürften ihm keinen Lohn geben; aber abends, wenn die Zeigen im Stall wären, müßten sie ihm ein weißes Brot auf den hohlen Stein legen, der außerhalb der Karesberge ist, und es werde es sich holen. Die Karesberger willigten ein und das Wichtelchen wurde bei ihnen Geißer.
Die Ziegen liefen des Morgens fort, sie liefen auf die Weide hinaus und holten sich das Futter, sie kamen mittags mit den gefüllten Eutern und liefen wieder fort und kamen am Abend mit gefüllten Eutern und gediehen und wurden immer schöner und vermehrten sich, sowohl weiße als schwarze, sowohl scheckige als braune.
Die Karesberger freuten sich und legten das weiße Brot, das sie eigens backen ließen, auf den Stein. Da dachten sie, sie müßten dem Geißer eine Freude machen und ließen ihm ein rotes Röcklein anfertigen. Sie legten das Röcklein abends auf den Stein, da die Ziegen schon zu Hause waren. Das Wichtelchen legte das rote Röcklein an und sprang damit, es sprang wie toll vor Freude unter den grauen Steinen umher; sie sahen es immer weiter abwärts springen wie ein Feuer, das auf dem grünen Rasen hüpft, und da der andere Morgen gekommen war und die Ziegen auf die Weide liefen, war das Wichtelchen nicht da und es kam gar nie wieder zum Vorschein.

Adalbert Stifter

Quelle: Österreichisches Sagenkränzlein

© digitale Bearbeitung Norbert Steinwendner, St. Valentin, NÖ.

 

 
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